Nun wissen wir es endlich:
Nur der Kommiß wird die Halbstarken bändigen

Diskussionsabend der Jungdemokraten mit viel Bundeswehrpropaganda und Reden vom Sterben-Müssen

Gespenster wurden lebendig: Ein Major der neuen deutschen Bundeswehr sprach mit der ruhigen Sicherheit eines wohlbestallten Beamten von der Verpflichtung jedes einzelnen, im nächsten Krieg Verantwortung zu tragen für jeden Gefechtsausgang. Würdige, ehrenwerte Schulmeister sprachen von Idealen und »folgerichtig« von der Ehre zu sterben: »Bundeswehr und Schule müssen zusammenarbeiten, um das Verbogene gerade zu biegen«. Und das alles diene der Lösung des »Halbstarkenproblems«. Wem noch nicht klar war, warum dauernd von »Halbstarken« geredet wird, dem musste im Gesellschaftszimmer des Ratskellers bei einem Diskussionsabend der »Deutschen Jungdemokraten« endlich die Erkenntnis kommen.

Endlich wurde die Katze aus dem Sack gelassen! Jetzt wissen wir, woran wir sind: Die Halbstarken sind natürlich nicht alles Rabauken, man kann ihre Zusammenrottungen »übersehen«, und man kann ihnen natürlich auch helfen. Entscheidend ist aber, dass »artfremde Idole« verschwinden und wieder ein Ideal aufgerichtet wird. Blank gab das Stichwort: »Es muß wieder eine Ehre sein, für das Vaterland zu sterben.«

Spricht schon vom Krieg

Und Major Klostermann, Standortkommandeur des Wehrbereichskommandos Düsseldorf, zu dem auch Wuppertal gehört, ergänzt: »Als alles verloren war, kämpfte der deutsche Soldat für seinen Gruppenführer oder Kommandeur. Diesen Begriff der Kameradschaft müssen wir wieder aufrichten und an die Stelle der Autorität setzen, vor der die Jugend eine Aversion hat. Im zukünftigen Krieg muß sich jeder einzelne verantwortlich fühlen für den jeweiligen Ausgang des gerade ausgetragenen Gefechtes.«

Die Eltern sind schuld

Major Klostermann wird seinen Vorgesetzten melden können, dass die Saat allmählich aufgeht. Mit dem »Halbstarken«-Problem treibt die Kommiß-Propaganda ihre schönsten Blüten: Referent Rektor Friedrich Plümer [1] setzte sich sehr breit mit dem »ohne-mich-Standpunkt« auseinander, schob für die Wehrunfreudigkeit dem Elternhaus einen Teil der Schuld zu und vor allem der »Umerziehung« nach dem Kriege.

Ein ungesunder Geist

Er meinte, den Wechsel in der wehrpolitischen Anschauung könne der einzelne nicht verstehen und der Jugendliche schon gar nicht. »Der kostbare Edelstein der deutschen Sprache« – gemeint war das Wort von der Ehre und dem Sterben – dürfe nicht zum Schlagwort werden, sondern müsse mit Inhalt gefüllt werden. Ein gesunder Geist wohne noch immer in einem gesunden Körper, deshalb müsse mehr Sport getrieben werden [2], und Offiziere und Pädagogen müssten eng zusammenarbeiten, um »wieder geradezubiegen«.

Marschmusik vergessen

Als Symptome der heutigen Jugendverwirrung wurden ebenso selbstverständlich aufgezählt: Wildwestfilm, Schmöker, falsche amerikanische »Hemdsärmeligkeit, die dem Deutschen nicht ansteht«, natürlich auch die langen Haare der Pariser Existenzialisten, auch der böse Jazz, der den Jungen verdirbt (von der Marschmusik zu sprechen wurde vergessen) und die Zeitung, die von »Halbstarken« schreibt. So bekam jeder hübsch sein Teilchen ab. Obwohl das Sterben bisher nur die »Halbstarken-Problem-Löser« verlangten.
Apropos Sterben: Gefährlich ist natürlich die film- und schmökerhafte Verniedlichung des Mordes: »Da zauberte er ihm ein hübsches kleines Loch in den Kopf.« Das Ethos vom Sterben sollte doch lieber wieder doziert werden. Dann bekommt alles mehr Stil.

Der andere Weg

Es sei denn, wir Erwachsenen befolgen ein paar Worte eines anderen Schulmannes (Dr. Meckenstock, gleichfalls Rektor [3]), der fordert: »Gebt der Jugend mehr Raum und Freiheit, schafft ihnen Heime, unterstützt die Jugendverbände und kümmert euch um die Menschen, die mit den Problemen ihrer Flegeljahre nicht fertig werden.«
Das war der andere Weg, der genannt wurde. Er ist weitaus unbequemer und von keiner Helden- und Todes-Gloriole umsponnen. Sollte sich das aufflackernde Aufbegehren der Jugendlichen gegen die Erwachsenen, die ihnen keine Vorbilder sind, zu einem »Halbstarkenproblem« ausweiten, dann wird bewiesen werden müssen, um was es geht: Um die Wehrmacht oder um den jungen Menschen.
Nach dieser Diskussion scheint es vorläufig nur um die Bundeswehr zu gehen.

H. Dülfer
NRZ 15./16.9.1956


[1] Vermutlich der »als NS-Geopolitiker bekanntgewordene Wuppertaler Mittelschulrektor Friedrich Plümer«.
(Klaus Pabst: »Blut und Boden« auf rheinische Art. In: Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau: Griff nach dem Westen: die »Westforschung« der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960). Münster (Waxmann) 2003, Bd. 2, S. 972)


[2] Heinz Maegerlein , Friedrich Plümer, Gustav Schlipköter: Der Wille siegt. Meister des Sports erzählen. Bonn, Vlg. Dürrsche Buchhandlung, 191 Seiten, ca. 1950.

[3] Vermutlich der Rektor der Realschule Vohwinkel, Dr. Meckenstock.


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