Harald Dülfer

Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

Umbau war nicht möglich
Professor Graubers Urteil vernichtend
Die 18. Folge

Bis zum letzten Augenblick wurde um die Erhaltung des Thalia-Theaters gekämpft. Vielfach mit harten Bandagen und mit Argumenten, die von einer liebenswerten Sentimentalität getragen waren. Aber auch nüchterne wirtschaftliche Gründe wurden ins Treffen geführt. 1962 stand Wuppertal vor der Notwendigkeit, ein neues Schauspielhaus zu etablieren. Jahrelang war dieser Entschluß dringender Wohnungsbau- und Straßenbauprobleme wegen zurückgestellt worden. Das sogenannte »Neue Theater an der Bergstraße« genügte längst nicht mehr den gestrengen baupolizeilichen und Feuerschutzbestimmungen. Nach der Auflösung des Vertrages mit der Ufa, die dieses Haus nicht mehr wirtschaftlich nutzen konnte, bot sich das Thalia-Theater als Schauspielhaus geradezu an.

Im Stadtparlament wurde dieses Projekt leidenschaftlich diskutiert. Quer durch die drei Fraktionen ging das Für und Wider. Wie immer in unserem Wuppertal wurden zunächst einmal die Möglichkeiten erörtert, wie man am billigsten an ein Schauspielhaus kommen könnte. Es fehlte nicht an Stimmen, die sogar in Frage stellten, ob überhaupt ein neues Theater notwendig sei und ob nicht die Kultur noch einmal zugunsten anderer Aufgaben zurückstehen müsse [schon damals … ED]. Bei SPD/CDU und FDP fanden sich jedoch von den Fraktionen nicht immer in diesem Punkte sympathisch empfundene Fürsprecher für eine verantwortungsbewußte Kulturpflege, die nicht auf Kosten einer Vernachlässigung anderer wichtiger kommunaler Probleme ging.


Schlüsselfigur Graubner

Die Fragestellung konzentrierte sich schließlich darauf, das traditionsreiche Thalia-Theater mit seiner wenn auch nicht mehr modernen, so doch markanten Fassade zu erhalten und in ein Schauspielhaus umzuwandeln. Eifrigste Fürsprecherin war Cläre Blaeser, eine der brillantesten und aggressivsten »Stadtmütter«, deren ganze Liebe der Kunst und der Erhaltung der Tradition gilt. Aber sie und das gesamte Stadtparlament mußten sich dem vernichtenden Urteil beugen, das der anerkannte Gutachter und Theaterbauer Professor Graubner, Hannover, in Zusammenarbeit mit dem städtischen Hochbauamt ausgearbeitet hatte.


Verkauf beschlossen

Der Beschluß, das Thalia-Theater mit dem angeschlossenen Hotelbetrieb an die Stadtsparkasse Wuppertal zu verkaufen, wurde am 23. März 1962 gefaßt. Es handelte sich um einen Eilbeschluß des Hauptausschusses, der dazu mit dem Grundstücksausschuß und dem Sparkassenrat gemeinsam tagte. Nutzung und Lasten des gesamten Thalia-Komplexes gingen dadurch mit Wirkung vom 1. Januar 1963 auf die Stadtsparkasse über. Der Stadtrat bestätigte den Eilbeschluß am 17. April 1962.

Da das Großfilm- und Varieté-Theater seine wirtschaftliche Bedeutung verloren hatte, eine Operetten-Renaissance nicht zu erwarten war, sich kein wagemutiger Unternehmer wie Stein oder Riemer fand und das Fernsehen die Lichspielhäuser immer mehr veröden ließ, hatte die Sparkasse ihre große Chance, das zentral und verkehrsgünstig gelegene Grundstück gegenüber den eigenen, viel zu klein gewordenen Räumlichkeiten an der Schloßbleiche zu erwerben.


Der letzte Pächter

Am ersten Januar 1963 endete das Pachtverhältnis mit Robert Bartholomäi, der das Kino an die Ufa unterverpachtet hatte. Am ersten Juli 1963 war auch der Pachtvertrag mit der Ufa beendet. Als neuer Pächter – diesmal die Stadtsparkasse Wuppertal – fand sich ein Mann, der es verstanden hat, trotz einer über viele Jahre sich hinziehenden Filmmisere ein neues Lichspielhaus nach dem anderen zu eröffnen und mit vierzehn Häusern zum ungekrönten Kinokönig Wuppertals zu werden, Kurt Pretschner, der den Grundstein seines Erfolges bereits vor der Währungsreform mit der Einrichtung des Fita-Palastes in den traditionsreichen Räumen der alten Barmer Gesellschaft Concordia legte.


Neues Hotel geplant

Am 1. Januar 1963 übernahm der erfolgreiche Berliner Hotelier Zellermayer die Bewirtschaftung des Thalia-Hotels. Als Leiter des bestrenommierten neuerstellten Hotels Kaiserhof ist er bereits so stark mit Wuppertal verbunden, daß er das Versprechen abgegeben hat, die noch junge Tradition des Thalia-Hotels an anderer Stelle als Hotel garni fortzuführen.


Hohe Abfindung

1,1 Millionen Mark wurde Robert Bartholomai, der kostspielige Renovierungen des Hauses durchgeführt hatte, als Abfindung gezahlt. Im Nachtragshaushaltsplan der Stadt Wuppertal für das Jahr 1962 sind vier Millionen als Kaufsumme für das Thalia-Theater durch die Sparkasse ausgewiesen. Nur durch den Baustopp konnte das Theater bis zum heutigen Tage vor dem Abriß gerettet werden.

Filmtheater-Besitzer Pretschner wird bis zum endgültigen Abbruch des Hauses im Herbst kommenden Jahres ein reines Filmprogramm durchführen, aufgelockert durch gelegentliche Gastspiele reisender Ensembles. Dort wo heute noch die Silhouette des Thalia-Theaters markanter Blickpunkt ist, wird sich künftig ein kühnes Hochhaus der Stadtsparkasse mit einem angegliederten Parkhaus-Trakt erheben und Zeugnis von einer modernen, sachlichen Bauweise ablegen. Dieser Neubau wird ein Pendant zum Glanzstoff-Hochhaus darstellen.


Keine Rettung möglich?

Das Schicksal des Thalia-Theaters ist besiegelt. Die NRZ rief mit ihrer Serie noch einmal die Erinnerung an Zeiten zurück, die so erlebnisreich sind, daß sie auch dann nur langsam verblassen werden, wenn das liebgewordene Bild des »Weißen Hauses am Islandufer« verschwunden ist. Aber immer noch wird die Frage erörtert: »Mußte das Thalia-Theater wirklich abgerissen werden, gab es keine Möglichkeit, dieses Haus zu erhalten und zu einem Domizil des Schauspiels umzugestalten?« Professor Graubner hat die Unmöglichkeit nachgewiesen.

Der Gutachter stand vor der Tatsache, daß das Theater in seiner Bespielbarkeit dem Bau der Bundesallee bereits zum Opfer gefallen war. Jahre zuvor war ein Teil des Bühnenhauses abgerissen worden, um die Straßenführung gradlinig und breit genug anzulegen.

Professor Graubner untersuchte sieben Möglichkeiten: Unterbringung des Schauspiels im Thalia-Theater im derzeitigen Zustand. 1000 Sitzplätze, Bühnentiefe 7,33 m, ohne Seiten- und Hinterbühne. Der Kostenaufwand von 2,3 Millionen Mark steht in keinem Verhältnis zum Nutzeffekt.


Nicht rentabel

Vorverlegung des Bühnenportals und Anordnung einer Drehscheibe mit elf Meter Durchmesser bei einer Bühnentiefe von 16 Metern und einer Platzzahl von 900. Gesamtkosten 3,5 Millionen. Nachteile: Ungenügende Sichtverhältnisse, unzureichende Belüftungsanlage, unzulängliche Eingangs- und Foyerverhältnisse, starke Einschränkung der bühnentechnischen Möglichkeiten.

Bei gleichen Nachteilen, einer Reduzierung der Sitzplätze auf 820, aber eine Verbesserung der Sichtverhältnisse durch Anhebung des Parketts würde ein Kostenaufwand von 4,7 Millionen notwendig sein. Fünf Millionen sind notwendig, um diese Mängel etwas zu beheben, ohne daß dann die Künstlergarderoben als ausreichend zu bezeichnen seien.

Überlegt wurde auch ein Abbruch des Hauses bei Erhaltung des Hotels und dem Neubau eines Einrangtheaters mit angehobenem Parkett, einer Seitenbühne und einer Platzzahl von 900. Gesamtkosten 7,6 Millionen. - Bei einem Abbruch auch des Hoteltraktes wäre eine weitere Seitenbühne zu schaffen und Werkstätten einzurichten. Kostenpunkt 9 Millionen.


Nicht zu empfehlen

Bei einem völligen Abbruch des Thaliablocks und einem Neubau an gleicher Stelle wären 9,5 Millionen aufzubringen und in Kauf zu nehmen, daß ein Parkhaus zusätzlich erstellt werden müßte. Diese Vorschläge wurden deshalb als nicht empfehlenswert abgelehnt, und das Stadtparlament entschloß sich zum Verkauf des Thalia-Komplexes an die Stadtsparkasse und zum Neubau eines Schauspielhauses auf dem Gelände der Firma Schlieper & Baum an der Bundesallee, für den der erste Kostenvoranschlag bei 8,5 Millionen liegt, einer Summe, die zweifellos weit überschritten werden dürfte.

Nüchterne Überlegungen stehen am Ende einer Theaterentwicklung, die zum wechselvollsten und rührendsten Kapitel der Geschichte unserer Stadt gehört.

Was bleiben wird ist nur eine viel zu rasch verblassende wehmütige Erinnerung an rauschende Ballnächte, fröhliche Festgelage, an die Auftritte der strahlendsten Sterne des internationalen Varietés, an das technische und künstlerische Wunder, das der Aufbruch vom stummen zum sprechenden Film bedeutete, an die Zeit, da der Rundfunk hier seine ersten Gehversuche machte, an die glanzvollen Operetteninszenierungen, die zahllosen Gastspiele reisender Ensembles und an eine Zeit, da »ein Hauch von Weltstadtluft« durch das Theater zog, da der Name Wuppertal durch sein Thalia-Theater in einem Atemzug mit Berlin und Paris, Rom und New York als den Metropolien der Welt genannt wurde.


Ende