Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

Märchenhafte Gagen gezahlt
»Geizhals Grock war ein großer Wohltäter«
Die elfte Folge

Das Thalia-Theater steht bis 1933 auf einer Stufe mit den größten Bühnen der Welt, mit der Scala, dem Wintergarten, dem Casino de Paris, dem Palladium und den New Yorker Groß-Varietés, Vergnügungsetablissements, die seit vielen Jahren schon legendenumwoben sind! Die Gagen, die in diesen internationalen, von Millionären besuchten Vergnügungszentren gezahlt werden, sind so phantastisch hoch, daß kein anderer Theaterleiter daran denken kann, einmal einen Grock oder Rastelli im »Beiprogramm einer Filmaufführung« auftreten zu lassen. Robert Riemer aber depeschiert Grock: »Tagesgage von 2000 Mark akzeptiert«.

Werner Kraft, seiner damals jungen »rechten Hand«, verschlägt es die Sprache: »Das ist doch Wahnsinn, Herr Direktor. Das spielen wir ja bei all den zusätzlichen Unkosten nicht einmal bei 100prozentigerPlatzausnutzung wieder herein. Das muß doch ein Zusatzgeschäft werden«. Die Antwort ist charakteristisch: »Davon verstehen Sie noch nichts, junger Mann. Das ist keine Frage des Profits, sondern des Prestiges! Grock im Thalia, das ist als Werbung unbezahlbar, soviel wir im Augenblick vielleicht auch draufzahlen müssen.«


Tückischer Vertrag

Grock alias Adrien Wettach ( »Nit mööglich ...«) war sofort einverstanden. Vor sechs Jahren »klönten« Kraft und Riemer, den die alte Liebe wieder einmal ins Tal der Wupper getrieben hatte, über jenen Vertrag und seine bösen Folgen. Das Thalia wechselte damals jede Woche sein vollständiges Programm und brachte werktags zwei und Sonntags drei Bühnenschauen zum Filmteil. Sieben Tage machten
14 000 Mark allein für Grock aus. Kein Wunder also, daß Kaufmann Riemer ein »Nebengeschäft« für sein Publikum herausschinden wollte. Ganz klein setzte er deshalb unter den Vertrag, daß die Gage für 15 Vorstellungen gezahlt werde.

Der Schweizer Musikalclown hatte, alter Gepflogenheit folgend, nur auf die Endsumme gesehen, aufgepaßt, daß auch die Reisespesen voll ersetzt wurden, und sich im übrigen um die einzelnen Vertragsklauseln nicht gekümmert. Empört lehnte er deshalb ab, am Sonntag bei den vier Filmvorführungen dreimal im Varietéteil aufzutreten. »1000 Mark zusätzlich oder kein Auftritt.«


Ganz ohne Maske

Eine drückende Schwüle liegt über dem Tal. Die Sonntagmittagvorstellung ist entsprechend schwach besucht. Kraft führt den König der Spaßmacher an das Guckloch im Vorhang: »Sehen Sie, wie können wir bei den wenigen Besuchern 1000 Mark zahlen? Wollen Sie aber, daß die Leute, die bei der Hitze nur gekommen sind, um Sie zu sehen und zu hören, obwohl es für sie bestimmt angenehmer wäre, jetzt im Strandbad zu liegen, enttäuscht das Theater zu verlassen und in die Bruthitze hinausgehen sollen?«

Grock murmelte in seinem Schwyzerdütsch ein paar unverständliche Worte und verschwindet in seiner Garderobe. Wenige Minuten später steht er auf der Bühne. Aber wie! Ohne seine Maske, die ihn weltberühmt gemacht hat, die zu seinem zweiten, eigentlichen »Ich« geworden ist. Seine Schau dauert nicht 45, sondern nur 25 Minuten. Kapellmeister und Beleuchter sind ratlos, Grock improvisiert und stutzt seine Nummer bis zur Unkenntlichkeit zusammen. Er »schludert« sie einfach herunter! Das Publikum scharrt nervös mit den Füßen und diskutiert noch in der Pause erregt: »War das nun der weltberühmte Grock oder war das alles nur ein Bluff?«


Prompte Quittung

Nicht nur das Publikum, auch die Zeitungen geben dem Idol die Quittung. Der internationale Artistenverband erteilt eine Rüge. Selbst einem Publikumsliebling verzeit man nicht, wenn er plötzlich nicht mehr der sein will, als den man ihn liebt.

Trotzdem fliegen ihm die Herzen der Wuppertaler wieder zu, als er erneut im Rampenlicht steht und seine unvergeßliche, viel kopierte, aber nie erreichte Nummer bringt.


Nur hartes Geld

Ungeschminkt haben den großen Komiker aber nicht nur die Besucher jener verpatzten Sonntagmittagvorstellung gesehen, sondern auch die Pagen im »Hotel Kaiserhof«. Wie der Geizhals im Märchen sitzt Grock jeden Abend vor seinem Bett und türmt Geldstücke zu kleinen Stapeln. Direktor Riemer mag noch so oft vorschlagen, im die Gage in Scheinen auszuzahlen oder ihm einen Scheck auszustellen, Grock besteht darauf, daß ihm täglich seine 2000 Mark in harten Geldstücken ausgezahlt wird. Einer jener Pagen, der den »Geizhals« durch das Schlüsselloch des Hotelzimmers beobachtete, trug bei seiner Abreise die Koffer zum Taxi, Er versicherte: »Sie waren so schwer, daß ich wette, er hat die ganzen 14 000 Mark drin.«


Überwand den Haß

Aber Grock war kein Geizhals. Er war stets ein Mensch, der sich schwer anderen anschloß, der in seiner eigenen Welt lebte, eher ein Philosoph als ein Spaßmacher, eher ein Aristokrat als ein Fahrensmann. Das zeigte sich in seinen letzten Lebensjahren nach dem zweiten Weltkrieg, als er mithalf, die Wand des Hasses gegen »die Deutschen« zu durchbrechen, als er Zehntausenden in Lazaretten und Elendesunterkünften durch seine Späße wieder neuen Mut zum Leben gab. Zu der Zeit dachte er nicht an die Höhe seiner Gagen, da kam es ihm nicht auf eine Vorstellung an, und da zählte er die Geldstücke nur, um zu sehen, ob sie ausreichen würden, ein wenig von der Not, die er gesehen hatte, zu lindern.


»Eintagsfliegen«

Der Übergang vom stummen Film zum Tonfilm war nicht nur für viele ein Mirakulum, er bereitete den Technikern und Theaterleuten wie bei der Einführung und Popularisierung jeder neuen technischen Erfindung, die sich an die Masse wendet, erhebliche Kopfschmerzen. Wenn sich Robert Riemer an jene Zeit erinnert, meint er sogar, man müsse statt von Kopfschmerzen schon eher von einer permanenten Migräne sprechen.

Die mit ständigen Pfiffen und an den romantischsten Liebesstellen mit bedauerndem »Ooh-Stöhnen« kommentierten Unterbrechungen der Vorführungen infolge »technischer Mängel« raubten den ganzen Zauber der Illusion. Bald schon sprach man vom Tonfilm nur noch als von einer »Eintagsfliege«, berichtet Riemer. »Und wie es mir zumute war, als bei einem der sogenannten ersten Tonfilme im Thalia trotz Koppelung von Filmstreifen und Grammophon, das ja damals die noch nicht vorhandene Synchronisation ersetzte, die Steuerung schlief und zwei Szenen verwechselt wurden, können Sie sich denken, wenn Sie sich die Publikumswirkung vorstellen:

Gezeigt wurde eine ganz harmlose Übergangsszene, in der ein Chef mit seiner Kassiererin Geld zählt, um die Schlußabrechnung zu machen. Dazu lief das für die nächste Szene vorgesehene Liebesgestammel: Agnes, - Du, Agnes, ich hab' Dich ja so lieb, willst Du meine Frau werden? Das Theater versank im Gelächter, kann ich Ihnen sagen.«

Doch solche Pannen, unter denen andere Kinos noch Jahre leiden sollten, wurden im Thalia so rasch abgestellt, daß auch die Qualität der Filmdarbietungen rasch über Wuppertals Stadtgrenzen hinaus gelobt wurden.

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Dem grö฿ten Triumph folgte die schmählichste Vertreibung