Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

Das war Elberfeld im Jahre 1906
Das Bautempo des Thalia-Theaters brach damals alle Rekorde

Elberfeld war 1906 bereits ein sehr stattliches Gemeindewesen. Es hatte über 160 000 Einwohner und dazu eine solide fundierte, leistungsstarke Wirtschaft, die durch ihre Vielseitigkeit wenig krisenanfällig war. Es wurde gut verdient – wenn sich auch die Arbeiter sehr schwer tun mußten, um bei den damaligen Löhnen mit dem Wochenverdienst über die Runden zu kommen. Aber es war doch allenthalben ein lebhafter Aufschwung zu bemerken.

Das Wissen um die gesunde Struktur der Stadt, um die enge Verbindung mit der gleichfalls recht aktiven, lebenstüchtigen Schwesterstadt Barmen und dem kulturell noch sehr wenig erschlossenen großen bergischen Hinterland bewog die »Theater- und Saalbaugesellschaft«, die bereits in Hannover und Magdeburg ein repräsentatives Groß-Varieté-Theater unterhielt, am Islandufer einen ähnlichen Musen-Palast zu bauen.


Das Tagesereignis

Die Elberfelder verfolgen jeden Fortschritt an diesem Bauprojekt. Die Zeitungen berichteten über jede neue Etappe, jedes Ereignis. Die Architekten- und Baufirma Boswau und Knauer meldete am 30. Juli bereits die Fertigstellung des Rohbaus. Der »Tägliche Anzeiger« kann seinen Lesern mitteilen, daß mit der Leitung des Theaters Direktor Stein aus Hamburg betraut worden ist, »dem Elberfeld die Bekanntschaft von Sarah Bernardt und Madame Maeterlink verdankt, die beide im Stadttheater aufgetreten sind«. Die Direktionsvertretung wurde dem Berliner Otto Telge anvertraut, der sich als langjähriger Regisseur des Apollo-Theaters Berlin die Meriten erworben hatte, um den geplanten Start einer bisher in Wuppertal noch nicht erlebten glanzvollen Operetten-Welle das künstlerische Profil zu geben.



Machte Schlagzeilen

Der Thalia-Bau lieferte Schlagzeilen, Meldungen und Stories:

1.August: Große Schlägerei anläßlich der Entlassung eines Arbeiters. Ein Teil der Beschäftigten stellt sich gegen die Bauleitung. Die Polizei muß schließlich energisch durchgreifen. Ein Aufseher verletzt.

18. August: Der siebenwöchige Bauarbeiterstreik ist beigelegt. Der Stundenlohn wird – schrittweise – von 56 auf 62 Pfennig heraufgesetzt.

25. August: Einem Bauarbeiter werden beim Transport zwei Finger abgequetscht.

20. September: »Eine Sehenswürdigkeit bildet das gegenwärtig in einem eigens dazu errichteten geschmackvollen Pavillon an der Ecke Islandufer/Kölner Straße ausgestellte Modell des Thalia-Theaters. Wie man schon am Modell erkennt, wird unsere heimische Stadt um einen Prachtbau reicher. Die Besichtigung kann jedermann empfohlen werden.« (Täglicher Anzeiger).

23. Oktober: Die Arbeiten schreiten mit verblüffender Schnelligkeit voran. Zu der bereits vorhandenen großen Zahl von Bauhandwerkern, die mit emsigem Fleiß mit der Fertigstellung beschäftigt sind, kamen 150 Stukkateute, eine gleich große Anzahl von Spezialisten kommt in wenigen Tagen inmittelbar nach Fertigstellung des neuen Schauspielhauses in Berlin, das ebenfalls von der Firma Boswau und Knauer ausgeführt wurde.


Termin eingehalten

7. Dezember: Was bisher für unmöglich gehalten wurde, ist zur Tatsache geworden: Die Eröffnung kann tatsächlich termingerecht am 12. Dezember 1906 erfolgen. Ein prächtiges Bauwerk ist entstanden und in wenigen Tagen wird ein von der Kuppel des Hauses ausstrahlendes Lichtmeer weithin davon Kunde geben.

Am gleichen Tag erscheinen in den Heimatzeitungen große Anzeigen von der Eröffnungsvorstellung. Die Preise beginnen bei fünfzig Pfennige und enden bei fünf Mark. Trotzdem heißt es bereits am 9. Dezember:

»Ein wahrer Ansturm auf die Kasse ist die Folge der angekündigten Eröffnung des Thalias und beweist das rege Interesse, welches das Publikum von Elberfeld-Barmen und deren Nachbarorte an dem neuen Riesenunternehmen hat. Eine kleine Armee von Handwerkern jeglicher Art arbeitet unter Leitung der hervorragenden Architekten der Firma Boswau und Knauer, um die letzten Feilungen an diesem Prachtbau vorzunehmen. Die Proben haben bereits begonnen, das Orchester hat Gelegenheit, sich in künstlerischer Weise einzuarbeiten.«

Die Vorschußlorbeeren der Presse brauchten nicht zu verwelken. Am 12. Dezember 1906 erlebt Elberfeld die glanzvolle Eröffnung seines einmalig gebliebenen »Thalia-Theaters«.

Weiter:
So bluffte nur Hanussen