Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters
Der König gewährte Audienz
Walter Zierau war der charmanteste Chansonnier
Die 6. Folge
Heute [12.12.1964] vor 58 Jahren fand
die unvergeßliche, glanzvolle Eröffnung eines der
schönsten Theater der leichten Muse statt, die Einweihung des
Thalia-Theaters am Islandufer in Elberfeld.
Anni Lehner, die gefeiertste Diva des
Thalia-Theaters, kann das Erscheinen dieser Serie nicht mehr
miterleben. Vor drei Jahren starb die Vielgefeierte in Armut und
Vergessenheit. Der strahlendste Tenor jener großen Wuppertaler
Operettenzeit jedoch – Walter Zierau – ist trotz seiner 78 Jahre noch
heute vom Flair des charmanten Chansonniers vergangener Zeiten
umgeben.
Längst abgetreten von den Brettern, die auch für ihn die Welt bedeuteten, im Schatten der Scheinwerfer, die sich auf die neuen Stars und den Kometenschweif der Skandalsternchen konzentrieren, darf er das Glück einer neuen schöpferischen Muße und Muse genießen: In seinem Elberfelder Heim sitzt er oft stundenlang an der Staffelei, um zu malen. Mitunter aber springt er plötzlich auf und spielt sich noch einmal in jene unvergessenen zwanziger Jahre, in denen er als Gondoliere seine größten Triumphe feierte.
Oft noch läßt er in seinem gemütlichen Heim seine Stimme erklingen. Ungebrochen ist sie von strahlender Helligkeit und baritonaler Tiefe, in jener rollenbedingten Färbung, die seinen Ruf als Tenor begründete, der sich in Dresden sogar einem Richard Tauber gegenüber behaupten konnte.
Wie »die Lehner« kam auch Walter Zierau 1917 zum erstenmal nach Wuppertal und trat mit ihr zusammen im Thalia-Theater auf. Daß er dieser Stadt treu blieb, lag nicht nur an seinen großen Erfolgen, die er vor einem stets dankbaren Publikum feiern konnte, sondern vor allem an seiner glücklichsten Herzensromanze: 1918 lernte er ein Elberfelder Mädel kennen, das nicht nur seine Stimme und sein schauspielerisches Talent bewunderte, sondern ihn von ganzem Herzen liebte. Mit ihr verbrachte er viele Jahre ungetrübten Glücks. Abenteuerlich und verschlungen war der Weg bis zu diesen Wuppertaler Erfolgen am Thalia-Theater gewesen.
In Magdeburg geboren, gab es nach dem Abitur den ersten handfesten Familienkrach, als der hoffnungsvolle Jüngling seinem Vater erklärte, sein Zeichenlehrer habe ihm geraten, Portraitmaler zu werden, und er selbst verspüre große Lust zum freien Künstlerleben. Der Vater wollte von dieser »brotlosen Kunst« nichts wissen und zähneknirschend, aber gehorsam ließ sich Walter an der Technischen Hochschule immatrikulieren, um wunschgemäß Diplomingenieur zu werden.
Gerade dort aber kam es, wie es kommen mußte: Ausgerechnet bei einer Aufführung der Studentenbühne, die Sudermanns »Die Ehre« gab, wurde er vom Theaterdirektor Zimmermann aus Bautzen als Künstler entdeckt. Der Mime brachte das unmöglich scheinende fertig: Er überzeugte Vater Zierau von der schauspielerischen Berufung seines Sohnes und erwirkte für den gerade erst 19jährigen die Genehmigung, das technische Studium an den Nagel zu hängen.
Im Sommer 1909 spielte der ungemein begabte Jüngling bereits im Kurtheater Wildbad mit Ida Wüst zusammen in der unsterblichen Zeitschnulze »Alt Heidelberg«. Als dem Jungmädchenschwarm Karl-Heinz flogen ihm hier die ersten Herzen seiner Bewunderinnen zu. Bald darauf wurde er im Kurbad Kissingen sogar dem König von Sachsen vorgestellt. Jenem Souverain, der sich damals noch nicht träumen ließ, daß er ausgerechnet mit seinem theatergerechten Abdankungsslogan »Macht Euren Dreck alleene …« in die Geschichte eingehen würde.
»Dollarprinzessin« und »Försterchristel« brachten die ersten gar nicht mal so kleinen Operettenaufgaben. Professor Mangold, Berlin, gab ihm schließlich Gesangsunterricht, und 1915 war dann bereits das erste Operetten-Engagement in Mainz fällig. Nicht viel später stand Zierau in Dresden auf der Bühne und hatte seine ersten großen künstlerischen Erfolge. Unvergessen blieb ihm die Rolle des »Eisenstein« in der »Fledermaus«, weil Kollegen und Publikum nach der Übernahme durch Richard Tauber meinten, der habe zwar – vielleicht – stimmlich mehr zu bieten, aber darstellerisch käme er an Zierau doch nicht heran. Tino Patiera, der vor zwei Jahren Wuppertal wieder einmal besuchte, gehörte damals gleichfalls zu den Großen der Dresdener Musikbühnen.
Die Wuppertaler begeisterten sich an Zieraus strahlendem Tenor bei den großartigen Operetten-Inszenierungen, in denen auch Wiesendanger und Riemer mitwirkten, jene Urkomödianten, die später nacheinander die Leitung des »Bavaria«, jenes »Sekt-Kabaretts« am Islandufer, nur 30 Meter vom Thalia entfernt, übernehmen sollten.
Eine sehr fruchtbare Zeit begann, und die Wuppertaler zogen in Scharen in ihr »Operettenhaus am Islandufer«. Schlag auf Schlag folgten die Erfolgsstücke »Des Königs Nachbarin«, »Teresina«, »Orloff«, »Wiener Blut«, »Zigeunerbaron«, »Bettelstudent«, »Mariza«, »Csárdásfürstin«, »Frau von Korosin«, »Clo Clo«, »Paganini«, »Faschingsfee«, »Die Kaiserin«. Und das alles in einer Spielzeit, reich ausgestattet, mit den Stars der Zeit in den Hauptrollen!
1919/20: »Eva das Fabrikmädel«, »Rose von Stambul«, »Das blonde Glück«, »Eine Nacht in Venedig«, »Der dumme August«, »Frau ohne Kuß«, »Tanz um die Liebe«.
Nach verschiedenen Zwischenstationen, in denen Zierau selbst Theater leitete oder ausgedehnte Gastspiel-Tourneen absolvierte, stand er 1924 wieder auf der Thalia-Bühne. »Die Faschingsfee« verzeichnete einen rauschenden Erfolg. Ein Jahr später sang er den »Danilo« in Lehars »Lustige Witwe«. Seine Partnerin war die berühmte Operettensängerin Vera Schwarz. 1925/26 folgte dann »Mariza«, »Paganini«, »Frau von Format«, »Der letzte Walzer« und viele andere beschwingte Operetten.
Theaterleiter Dr. Eckert, der ebenfalls eine lange Zeit hindurch Chef des Hauses war, erwies sich als äußerst sparsam. Er machte sich nichts daraus, einmal sogar die Kostüme bei der stadttheaterlichen Konkurrenz auszuleihen. Ihn störte es nicht, daß er 1925 die »Lustige Witwe« in den Kostümen des »Bettelstudenten« auf die Bretter stellte. Um so mehr aber seine beiden Stars, Vera Schwarz und Walter Zierau. Sie streikten und traten in der Premieren-Vorstellung – wenn schon stilwidrig – dann schon lieber in ihrer eigenen Abendgarderobe auf, die den Vorzug hatte, elegant und adrett zu sein.
Diese Episode aber ist nicht kennzeichnend für den Geist des Hauses. Jeder Theaterleiter wußte, was er dem Schaubedürfnis des Publikums gerade in der Operette schuldig war. Lichteffekte wurden gesetzt, die technisch so ausgeklügelt waren, daß sie selbst sparsamer angelegten Inszenierungen noch den verklärenden Glanz einer anderen und natürlich auch schöneren Welt verliehen.
Die Techniker aber hatten sich nicht allein darauf konzentriert, immer neue Bühneneffekte zu entwickeln, immer mehr wurden sie wie Tausende von atemlosen Zuhörern, von dem neuen technischen Wunder, dem Rundfunk, angezogen. Die Perfektion schritt rasch voran. Aber etliche Schwierigkeiten waren eben doch nicht in wenigen Jahren zu überwinden. Vor allem nicht die enge Begrenzung der Sendebereiche. Und damit begann ein kurzer, jedoch bedeutender Abschnitt in der wechselvollen Geschichte des Thalia-Theaters. Wand an Wand mit dem Operettenhaus etablierte sich im großen Festsaal von 1906 das »Rundfunkhaus des Senders Elberfeld«.
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Die Geburtsstunde des Rundfunks schlug im Thalia-Theater