Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

Brandstifter blieb unentdeckt
Ein falscher Arzt taucht auf – Mißgunst als Motiv?
Die 15. Folge

Bis zum heutigen Tag ungeklärt blieb jener verheerende Brand, der in der Nacht zum 29. Januar 1951 das »weiße Haus am Islandufer« einzuäschern drohte. So fieberhaft die Polizei auch fahndete, es gelang ihr nicht, jene mutmaßlichen Brandstifter zu ermitteln, die als letzte unter fadenscheinigen Vorwänden auf den Meter genau an jenen Stellen des dritten Ranges standen, an denen dann wenige Stunden später das Großfeuer ausbrach. Dem raschen und mutigen Einsatz der Berufsfeuerwehr war es zu danken, daß nicht in dieser Nacht bereits das Schlußkapitel des 1906 als Varieté- und Operettentheater gegründeten Haus geschrieben werden mußte.

Montag, 29. Januar 1951. Tiefe Nacht hüllt das Tal ein. Vom jenseitigen Wupperufer fällt nur noch der fahle Neonschein einer Bar auf die bizarr vor dem Himmel abstechende Fassade des Thalia-Theaters. Keiner der wenigen Nachtschwärmer, die zwischen zwei und drei Uhr an diesem Haus vorüberkommen, merkt etwas von der Katastrophe, die hinter der Fassade schwelt. Nur die scharfen Augen eines Angestellten der Hagen-Bewachung bemerken die schwarzen Rauchwolken, die aus den Luken unter dem Dach hervorquellen. Dieser Mann weiß, daß keine Sekunde zu verlieren ist. Um 2.52 Uhr schrillt auf der Hauptfeuerwache in der Gathe das Telefon, und eine aufgeregte Stimme meldet: »Das Thalia-Theater brennt«.


Waghalsige Rettung

Minuten später sind die Löschzüge vor dem Theater vorgefahren und einsatzbereit. Die ersten Flammen schlagen bereits aus den berstenden Fenstern. Kaum haben sich die Feuerwehrleute ins Haus hineingekämpft, da quillt ihnen bereits ein derartig starker Rauch entgegen, daß sie schleunigst umkehren müssen, um sich die Atemschutzgeräte umzuschnallen. Aus sechs Rohren ergießen sich wahre Sturzfluten von Wasser über das Haus, während die wagemutigsten Feuerwehrleute über die verschachtelten Dächer an den Brandherd heranzukommen suchen. Direktor Bartholomay steht in diesem Augenblick bereits vor dem Portal und sieht, daß es einfach unmöglich ist, über die Treppen und Notausgänge an das Feuer heranzukommen. Rauch und Hitze lassen jeden Versuch vorzudringen scheitern.


Drückende Hitze

Um 4.30 Uhr ist die Hauptgefahr für das Theater beseitigt. Lange vorher hatte Oberbrandrat Riedel bereits melden können, daß die angrenzenden Häuser nicht mehr gefährdet seien und der Brand lokalisiert werden konnte. Gegen neun Uhr ist der damalige Oberbürgermeister Daum am Brandort und läßt sich einen ersten Bericht erstatten. Selbst zu dieser Stunde ist es kaum möglich, ins Innere des Hauses vorzudringen. Ein beißender Brandgeruch schlägt jedem entgegen. Noch wütet im ganzen Haus eine drückende Hitze, die von dem versengenden Feuer verursacht wurde. Nur vom Fackelschein erleuchtet huschen auf dem dritten Rang Feuerwehrleute durch die Finsternis. Verkohlte schwarze, nachglühende Holzbohlen versperren den Weg. Erst Stunden später läßt sich das ganze Ausmaß der Zerstörung erkennen.

Nach den ersten Ermittlungen – die endgültigen Charakter bekommen sollten – ist das Feuer auf dem dritten Rang an zwei Stellen ausgebrochen. Wahrscheinlich zu gleichen Zeit. Der dritte Rang ist völlig ausgebrannt, das Dachgeschoß dagegen blieb unbeschädigt. Der zweite Rang hat erhebliche Wasserschäden aufzuweisen, im Parkett sind 50 Sessel zerstört, weil die dekorative Beleuchtungsrose herabstürzte, als sie in der Hitze zerschmolz. Der eiserne Vorhang, der nach Schluß der stürmisch gefeierten letzten prunkvollen Ausstattungsrevue des »Kapt'n Bay-Bay« mit Erich Käding in der Hauptrolle herabgelassen worden war, schützte das Bühnenhaus vor einem Übergreifen des Brandherdes, den das Theater wahrscheinlich niemals überstanden hätte.


In 18 Tagen

Einige Tage später stellt der sofort herbeigerufene Architekt Klophaus, der das Theater nach der Zerstörung im letzten Krieg wiederaufbaute, fest, daß der Schaden mehrere hunderttausend Mark beträgt, aber dank der Vollmachten, die ihm der großzügige Pächter des Thalia-Theaters einräumt, kann er versichern, daß innerhalb kürzester Zeit das Theater wieder spielbereit sein wird. 18 Tage später öffnen sich die Portale zu einem neuen Doppel-Ereignis auf dem Gebiet des Films und des Varietés. Anna Magnani feierte in »Vulcano« wahre Triumphe. Aber Barlays drei Riesenelefanten, der Welt größtes Stimmwunder »La Estrella« und ein unerhört komischer Exzentrik-Akt lassen dieses filmische Ereignis erst zu einer echten Thalia-Attraktion für das ganze Bergische Land werden, denn allein die Kopplung zwischen einem Film- und Bühnenereignis bestätigten von Woche zu Woche erneut den Ruf dieses Hauses.

Der Betrieb läuft weiter. Bartholomay hat genügend finanzielle Reserven, um den Ausfall der Vorstellungen verkraften zu können. Zudem war er klug genug, sich ausreichend versichern zu lassen. Noch aber hat die Polizei die Jagd nach den mutmaßlichen Brandstiftern nicht aufgegeben. Schon hängen die ersten Fahndungsplakate im Präsidium, hohe Belohnungen wurden ausgesetzt, denn kaum jemand gibt es, der daran zweifelt, daß das »weiße Haus am bunten Fluß« absichtlich in Brand gesetzt worden ist.

Zwei merkwürdige Ereignisse deuten darauf hin: Am 28. Januar erscheint kurz nach der letzten Vorstellung ein Mann bei der Theaterleitung und weist sich als Arzt aus, der seine Aktentasche vergessen hat. Der Hausmeister leuchtet dem Besucher mit seiner Taschenlampe zum dritten Rang. Auf der rechten Seite – genau dort, wo einige Stunden später einer der Brandherde festgestellt werden konnte – klemmt tatsächlich eine Aktentasche zwischen dem Sitz und der Rücklehne eines Sessels.

»Was ist in der Tasche?« Der »Doktor« antwortet: »Ein Rezeptblock«. Ein kritischer Blick überzeugt den Hausmeister von der Richtigkeit, er geleitet den Mann zum Ausgang und schließt hinter ihm ab. Kurze Zeit später wird er erneut durch ein heftiges Klopfen aufgeschreckt. Wieder steht ein Mann vor ihm, der ebenfalls auf dem dritten Rang etwas vergessen hat, eine Zeitschrift! Merkwürdig, daß er deshalb vom Bahnhof zurückgekehrt sein will und so viele Umstände verursacht. Der Hausmeister paßt auf wie ein Luchs. Aber nur der Kegel der Taschenlampe begleitet die beiden auf den Rang. Tatsächlich, zwischen einem Sitz steckt die Zeitschrift, die der ungewöhnliche Besucher vergessen hat. Bevor aber der Gast noch zugreifen kann, hat der Hausmeister sie schon in Händen und ein Messer poltert zu Boden. »Wollen Sie uns hier die Sitze aufschlitzen?« – »Nein, wissen Sie, ich bin von auswärts und hab' mir während der Vorstellung nur mein Brot zurechtgeschnitten«. Das war auf der linken Seite des dritten Ranges, an der Stelle, wo der zweite Brandherd festgestellt wurde.

Noch ein Indiz erhärtet den Verdacht der Brandstiftung. Wenige Tage vor dieser Brandkatastrophe hörte eine Besucherin den Schluß eines Dialogs zwischen einem Paar, das sich während der Pause am Büffet erfrischt hat: »…wird sich noch wundern, wenn das Knusperhäuschen hier brennt«. Zu kurz ist die Pause, um die Theaterleitung zu alarmieren. Vergeblich bleibt der Versuch, jenes mysteriöse Paar am Ausgang nach der Vorstellung zu identifizieren. Nie wurde eine Spur dieser vier Verdächtigen gefunden. Aber noch steht die Belohnung für die Ergreifung der Täter aus.

Das Thalia erholte sich rasch von dem Schlag und erlebte weitere Jahre eines Erfolges, der an die Zeiten der Hochblüte dieses Hauses anknüpfte.

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Auf Artistenjagd rund um die Welt.