Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

Nur einer kannte das Rezept
Pleiten jagen sich – Ein neuer Mann: Robert Riemer
Die neunte Folge

Die schweren Jahre des Ersten Weltkrieges, der Inflation und der Arbeitslosigkeit spiegeln sich deutlich auch in der Geschichte des Thalia-Theaters wider. Von 1906 bis 1928 wechselte das große Varieté- und Operettenhaus, das von der Theater- und Saalbau AG erbaut worden war, in immer kürzeren Abständen seinen Besitzer oder Direktor.

Nach Martin Stein übernahm Kapellmeister Königsberger die Leitung. Er gab nur ein kurzes Gastspiel. Wenig später wurde das Theater in eine GmbH mit Groth als kaufmännischen Direktor und Max Walden als artistischen Leiter umgewandelt. Ihr großer Erfolg war die Revue »Donnerwetter - tadellos«, die eine bis dahin unerreichte Serien- Aufführung verzeichnete. Dann aber begannen der Besuch rapide zu sinken. Geschäftliche Schwierigkeiten stellten sich ein.


Rascher Wechsel

Direktor Grauaug versuchte sein Glück, bis die Theater- und Saalbau AG das Theater kaufte und Direktor Löltgen einsetzte. Rascher Wechsel in Besitz und Leitung, hoffnungsvoller Aufschwung, der die Kassen nicht nur der vorübergehenden Herrn, sondern auch der Stadt füllten, wechselten mit Pleiten. Glücklich zu nennen war die Epoche Direktor Wermers, der dem Haus neuen Glanz verlieh.

Später kaufte Kurt Elschner das Theater und veranstaltete einige Monate lang vielbeachtete und gut besuchte Operettenaufführungen. Herausragend waren die Gastspiele von Hans Bars und Mizzi Pracht. Kurze Zeit war auch von Gerlach, der ehemalige Intendant des Elberfelder Stadttheaters, »Herr im Haus am Islandufer«. Hohes Niveau verrieten die Operetteninszenierung unter der Thalia-Leitung Edgar Wiesendangers, der seine Künstler auf einer Art genossenschaftlicher Basis spielen ließ. Bis dahin war Kurt Elschner noch Besitzer des Hauses gewesen. Er verkaufte das kaufmännisch nicht so krisenanfällige große Unternehmen an Erich Nacz, der es an Direktor Bauer verpachtete.


Erstmals geschlossen

Trotz hoffnungsvoller Erfolge sammelte auch er keine Reichtümer, obwohl es sich um eine Blütezeit der Operette handelte. Als er Elberfeld verließ, mußte das Theater einige Zeit geschlossen werden. Aber wieder fand sich ein neuer mutiger Mann – unterstützt und ermuntert von seiner Frau – der das Thalia-Wagnis auf sich nahm: Hugo Lischka-Raul, der noch einmal verbleichenden Operettenglanz hervorzauberte. Aber auch der neue Thalia-Besitzer Nacz entdeckte lukrativere und vor allem risikoloseren Möglichkeiten, sein Kapital einzusetzen, und verkaufte das Thalia-Theater an die Stadt, die als Intendanten Vigdor Eckert einsetzte. Das war unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg. Er steuerte das oft havarierte und tiefgängige Thalia-Schiff durch die Inflation und beginnende Arbeitslosigkeit, aber 1928, als auch die Einnahme aus der Verpachtung der Restaurationsräume an den Rundfunk entfallen war und sich die Operette endgültig in ihren Schwanengesang ergab, mußte das große Haus am Islandufer erneut seine Pforten schließen.


Kurz vorm Ende

Den Stadtvätern sträubten sich in diesen Monaten schon allein bei der Nennung dieses Musentempels die Haare. Ihr ganzes Sinnen und Trachten galt nur einem Ziel: einen neuen (Todes?)Kandidaten für dieses Mammutobjekt zu finden. Jeder war willkommen, der mit einem aussichtsreichen Programm für das Einspielen der Miete und das lukrative Steueraufkommen gut schien.

Das war 1929 die große Chance für den in Wien geborenen Sketchschauspieler und Theaterleiter Robert Riemer, der zehn Jahre zuvor bereits bei einem Auftritt im 30 Meter entfernt gelegenen »Bavaria«, das er einige Zeit zusammen mit dem Dortmunder »Odeon« geleitet hatte, von einer solchen Möglichkeit geträumt hatte.


Eine neue Idee

Aber er hatte nicht nur geträumt, sondern bereits erfolgreich experimentiert. Deshalb konnte er den Stadtvätern die als Garantie verlangten 100 000 Reichsmark stellen, [um] den Umbau des Hauses (der sich auf über eine halbe Million belief) zu sichern und ihnen das zunächst als »völlig absurd« abgelehnte Projekt der Kopplung eines Großfilm-Theaters (mit Erstaufführung der Spitzenfilme) und einem internationalen Varietéprogramm, wie es besser in der Scala und im Wintergarten nicht geboten werden konnte, offerieren.

Obwohl sich Bewerber der Berliner Scala um die Übernahme des Thalias bemühten und durch ihre vorübergehenden Erfolge mit der Neubelebung der Operette bei zweimaliger täglicher Aufführung zu volkstümlichen Preisen ein ausgezeichnetes Entree bei den Stadtvätern verschafft hatten, gewann Riemers revolutionäre Idee an Boden.

Die Grundstückskommission gab Robert Riemer mit der Stimmenthaltung des NSDAP-Vertreters den Zuschlag.


Nur Skeptiker

Schon bei Beginn der Umbauarbeiten, bei denen wie bei der Erstellung des Hauses heimische Arbeiter und Künstler Tag und Nacht ihr Letztes hergaben, um innerhalb von noch nicht vier Monaten aus einem inzwischen antiquierten ein neues, modernes Haus entstehen zu lassen (die Leitung hatte Architekt Oskar Rosenthal, Düsseldorf), fehlte es nicht an Unkenrufen. Der Generaldirektor der »Ufa« prophezeite, »günstigenfalls sechs Wochen hält sich dieser junge Mann über Wasser«.

Es gab viele betretene Gesichter, manches Murren und Aufbegehren gegen Riemers Umwandlung des renommierten Varieté- und Operettenhauses, vor allem aus den Kreisen der Operettenfreunde und Stars. Riemer aber hatte frühzeitig erkannt, daß die Glanzzeit der Operette vorbei war, daß ein so großes Varieté-Theater allein nicht mehr den Ansprüchen genügte, sondern daß etwas neues geboten werden müsse, daß der Film vor seiner unmittelbaren großen Entwicklung stünde und daß er in einem glanzvollen Rahmen durch ein attraktives Weltstadtprogramm gestellt werden müsse, um aus dem »Rummelplatzmilieu« herauszukommen.

Sein Rezept war so einfach wie erfolgssicher: Bei der großen Ausnutzung mußten ihm die Verleiher die besten Filme zur örtlichen Erstaufführung überlassen, die Erfüllung hoher und höchster Gagenforderungen sicherten ihm fünf bis sechs Weltstadtnummern im Varietéteil, auf der dritten Galerie verkaufte er den Platz für 50 Pfennig (billigster Kinoplatz sonst eine Mark) und holte neue, im Augenblick zahlungsschwache Schichten ins Kino, die ihm später auf lukrativen Plätzen die Treue hielten.

Die Chronisten feierten die Eröffnung von 1929 wie 1906. »Eine Symphonie in Gold, Rot und Silber« hieß es, »der unzeitgemäße Stuck wurde abgeschlagen«, »Logen und Brüstungen mit rotem Plüsch überzogen«, die vorhalle »zu einer würdigen Visitenkarte« und »der Einbau der größten Philipps-Orgel Deutschlands« (auf der von der Bühne aus gesehen rechten Seite in Höhe des dritten Ranges) zu einer ungewöhnlichen Attraktion.

Festlich und farbenfroh wie einst präsentierte sich das Theater zur »Ersten Gala-Prunk-Eröffnungsvorstellung« am 29. August 1929 unter der neuen Leitung. Eine große Entwicklungsreihe war abgeschlossen - eine neue hatte ihren Anfang genommen.

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