Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters
Ein »Götz von Berlichingen«
Größten Triumphen folgte schmähliche Vertreibung
Die zwölfte Folge
Voll geballter Dynamik sind die Jahre zwischen 1931 und 1933. Noch nie waren die Steuereinnahmen der Stadt aus dem Thalia so hoch, wie zu dieser Zeit. Otto Gebühr entfesselte mit seinem Götz-Zitat einen handfesten Skandal. Robert Riemer, der Mann, der dieses Haus zu solch beispiellosem Erfolg gebracht hatte, sieht die bittersten Stunden seines Lebens. Sein Werk wird ihm aus der Hand geschlagen, er selbst zur Flucht gezwungen. Er war eines der ersten Opfer der fanatischen Judenverfolgung und mußte noch froh sein, wenigstens sein Leben zu retten. Es waren Jahre des hellsten Glanzes und der tiefsten Schwärze!
Nüchterne Zahlen demonstrieren die wirtschaftliche Bedeutung des Theaters: Im ersten Jahr seiner Tätigkeit brachte Riemer der Stadt 300 000 Mark an Pacht und Lustbarkeitssteuer ein. Die Bergischen Kleinbahnen kalkulierten, daß mehr als die Hälfte ihres Abendverkehrs den Attraktionen des Thalias, das mit seinen 2000 Plätzen 14mal wöchentlich ausverkauft ist, zugeschrieben werden könne. Besucher aus dem ganzen Bergischen Land geben sich hier ein Stelldichein. Selbst das Düsseldorfer »Apollo« ist lange Zeit nicht konkurrenzfähig.
In der Spielzeit 1932 werden 740 000 zahlende Besucher verzeichnet. 263 artistische Darbietungen werden geboten, das ist mehr als im »Wintergarten« und in der Berliner »Scala«. Im Gegensatz zu diesen Häusern wechselt hier das Programm wöchentlich. 1385 Artisten treten in der Spielzeit auf. Ihre Gesamtgage beträgt 136 000 Mark. Für das 82 Mann starke kaufmännische und technische Personal müssen 60 000 Mark, an Reklame 75 000, Licht- und Heizung 24 500 Mark aufgebracht werden. 1933 schnellen die Besucherzahlen in den ersten acht Monaten derartig in die Höhe, daß Buchhalterin Sophia Blum aufgeregt den millionsten Besucher melden kann! In Fachkreisen spricht man von einem »Besucher-Weltrekord«!
In jene große Zeit des Thalia-Theaters fällt der unvergessen gebliebene Auftritt des berühmtesten Filmschauspielers seiner Zeit: Otto Gebühr!
Zum »Flötenkonzert von Sanssouci« sollte er sich seinem Publikum zeigen. So hatte es die UFA angeordnet. Schon bei Gebührs Ankunft merkte Riemer, wie sehr die Fridericus-Rollen »abgefärbt« hatten und wie zuwieder ihm die »Schaustellung« war. Vorsorglich gab Riemer ihm Werner Kraft als »Aufpasser« zur Seite, damit er auch pünktlich zum Schluß jeder Vorstellung im Theater sei. Fast eine Woche lang ging alles gut. Ausgerechnet aber am letzten Spieltag schlägt Gebühr seinem Bewacher ein Schnippchen.
Schwer bezecht kann er erst wenige Sekunden vor seinem Auftritt ins Theater geschleift werden. Schon atmet Kraft auf, als ihn genau wie den zweitausend Besuchern der Schlag zu treffen droht: Mit grimmiger Miene stampft Gebühr auf die Bühne und schleudert mit bühnengerecht rollendem »R« das klassischste aller Götz-Zitate in die erstarrende Runde! Geistesgegenwärtig läßt der Bühnenmeister den eisernen Vorhang herunterrasseln.
Am nächsten Morgen haben die Zeitungen ihren »Knüller«, Gebühr einen Kater und Kraft eine Zigarre weg, an der er noch lange zu rauchen hat.
Nur aus der Zeit nach der Zeit der »Machtergreifung« der NSDAP ist das tragische und widersinnige Ende dieser glanzvollen Riemer-Ära zu erklären. Zu verstehen ist es heute ebensowenig wie damals! Robert Riemer ist Jude, gilt jedoch als Ausländer, da er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Dieser Status als Ausländer rettet ihn vor der ersten »Säuberungswelle«.
Am 11. April 1933 beklebte die SA das Thalia-Theater mit Boykottplakaten, SA-Männer marschieren vor dem Portal auf und verscheuchen so die Besucher, andere verlangen das Hissen des NS-Banners. So kommt es zu dem grotesken Bild: Über der großformatigen Filmankündigung »Im Zeichen des Kreuzes«, eines gerade angesetzten Streifens, der die Christenverfolgung im alten Rom zeigt, weht die Hakenkreuzfahne!
Kurze Zeit darauf muß die übereifrige Wuppertaler SA ihre Boykottposten zurückziehen. Julius Streicher hatte die Aufhebung befohlen, da der Inhaber des »bestreikten« Unternehmens noch den Schutz eines Ausländers genieße. Das Intrigenspiel nimmt jedoch seinen Fortgang, die Methoden werden immer raffinierter und gefährlicher.
Im September 1933 weigerte sich die nationalsozialistische Parteizeitung »Rheinische Landeszeitung« Anzeigen des Thalia-Theaters aufzunehmen, solange die Direktion von einem Juden repräsentiert würde.
Die Schikanen werden von Woche zu Woche unerträglicher. Riemer muß froh sein, in Freiheit die Liquidation seiner Gesellschaft erledigen und mit Hilfe von Freunden bei Nacht und Nebel fliehen zu können. In Belgien und später in Amerika gelingt es ihm, einen neuen Anfang zu finden und seine Thalia-Erfolge zu wiederholen.
Aus seinem jetzigen Wohnsitz Florida schrieb Riemer der NRZ: »Ich möchte nicht versäumen, auszuführen, daß alle meine Angestellten mir bis zum letzten Augenblick die Treue gehalten haben, und ich in der schwersten Stunde meines Lebens die Gewißheit haben konnte, daß Werner Kraft mein Theater in meinem Sinne weiterführen würde. Auf seine Leistungen bin ich auch heute noch sehr stolz. Ich glaube nicht, daß es ohne ihn möglich gewesen wäre, das Thalia so lange auf dem einmal erreichten Niveau zu halten.«
Nach einer Übergangszeit, in der Direktor Neukamp vom Kabarett "Regenbogen", damals in der Poststraße, die kommissarische Leitung auch des Thalia-Theaters inne hatte, trat 1934 Dr. h.c. Wilhelm Koch als neuer Theaterleiter in Erscheinung. Als Wuppertaler Schreinermeister frühzeitig in die Politik gegangen, wurde er als Parteigänger der Deutschnationalen Stadtrat, Reichstagsabgeordneter, Ehrendoktor und schließlich Reichsverkehrsminister. Als Hitler sein Kabinett bildete, schob er den unbequemen Koch in seine Heimatstadt ab und bot ihm an, einen freigewordenen Betrieb zu übernehmen.
So kam es zur Gründung einer neuen Gesellschaft, die das Thalia-Theater trug, nämlich zur Thalia-Theater Dr. W. Koch & Co. GmbH. Koch blieb bis zur Zerstörung des Theaters am 25. Juni 1943 geschäftsführender Direktor, Werner Kraft souverän schaltender Leiter des Bühnenteils.
Mochten die Wolken am politischen Himmel auch immer düsterer werden, die Filmprogramme langsam aber stetig mit Propagandastreifen durchsetzt werden – auf der Bühne standen nach wie vor die berühmtesten Artisten der Welt.
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Freud und Leid großer Artisten in schwerer Zeit