Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

So bluffte nur Hanussen
Erinnerung an einen Streich des großen Scharlatans

Von Geheimnissen umwittert, rätselhaft und einmalig zugleich waren Aufstieg und Ende von Hermann Steinschneider, bekannt unter dem Namen Erik Jan Hanussen, der Adolf Hitlers Aufstieg voraussagte, kurze Zeit die Gunst des braunen Machthabers genoß, »Hofastrologe« wurde und der dann unter rätselhaften Umständen (längst in Ungnade gefallen) im Grunewald ein gewaltsames Ende fand. Erik Jan Hanussen faszinierte von der Thalia-Bühne herab auch die Wuppertaler. Robert Riemer, der den unenträtselbaren Scharlatan damals engagiert hatte, weiß sich an eine kuriose Geschichte zu erinnern, die sich in einem Lokal unweit des Thalia-Theaters ereignete.

»Nach einem Auftritt in meinem Theater saß ich mit ihm in einem gemütlichen Lokal in Elberfeld bei einer Flasche Wein. Na – sagen wir ganz ehrlich – bei mehreren Flaschen Wein, denn die Pointe verrät unsere Trinkfestigkeit an jenem Abend ja doch. Nach der zweiten kam der Wirt selbst, blinzelte mir verstohlen zu und meinte zu dem vielumschwärmten Hypnotiseur gewandt: ›Wenn Sie hier ein so großer Magier wären, wie auf der Bühne, müßte es Ihnen doch ein leichtes sein, selbst die leeren Flaschen wieder voll zu zaubern.‹

Das hätten Sie miterleben müssen: Hanussen verzog keine Miene, er griff aufreizend gelangweilt zu seiner Brieftasche, blätterte kurz darin herum, zog einen 1000-RM-Schein auf den Tisch und fragte schlicht und einfach: ›Halten Sie einen Hunderter dagegen?‹ – Der Wirt zauderte. Er wollte näheres wissen. Hanussen beharrte: ›Es ist nur eine Frage, halten Sie einen Hunderter gegen einen Tausender?‹

Man sah es dem Wirt an, wie er mit sich rang, wie er aus den Augenwinkeln den geheimnisvollen Magier beobachtete, dessen Gesicht gleich gelangweilt-kühl blieb. Schließlich hielt es der Wirt nicht mehr aus: ›Ich kann mir hundert Mark Verlust nicht erlauben. Ich bringe Ihnen lieber eine neue Flasche.‹

Am nächsten Tag schwirrte es in der Stadt nur noch von immer ausgeschmückteren Geschichten über das Wunder, das dieser Teufelskerl Hanussen sogar in einer Wirtschaft vollbracht habe. Denn natürlich hieß es überall nur noch: Hanussen hat eine leere Flasche so verzaubert, daß sie sich sofort wieder mit Wein füllte.

Ich fragte ihn zwei Tage später, was er denn nun wirklich gemacht hätte, wenn der Wirt auf die Wette eingegangen wäre. Wie an jenem Abend sah er mich nur kurz und gelangweilt an: ›Ich hätte meinen Tausender natürlich wieder eingesteckt und ihn gefragt, ob er etwa so verrückt wäre, auf eine solche Wette einzugehen! Denn Wunder sind wunderbar nur für die Bühne – und für die zahlenden Gäste im Parkett.‹«


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Was fehlte, waren Ideen