Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
[Von den Anfängen bis 1956]
Pikantes für Frau Küpper
»Die ersten bewegten Bilder« auf der Kirmes
» Hoppla, jetzt komm ich!« So polterte Hans Albers auf die Bühne. Unwiderstehlich. Und alle Herzen flogen ihm zu. »Hoppla, jetzt komm ich« stand ungeschrieben auch über dem ganzen Kintopp-Zauber. Am 3. Juni 1896 schlug die Geburtsstunde der deutschen Kinoindustrie. An diesem Tage trug Oskar Meßter den Verkauf seines serienmäßig hergestellten Filmprojektors ins Kontobuch ein. Die Entwicklung hatte schon Jahrzehnte zuvor begonnen. Über diese Vorgeschichte berichtet die NRZ in der ersten Folge ihres großen Tatsachenberichtes. Er schildert die atemberaubende Entwicklung von der allerersten Vorführung »lebender Bilder« 1892 in Heckinghausen über primitivste Ladenkinos bis zu modernen Filmpalästen mit Breitleinwand. Der neue große Tatsachenbericht der NRZ versucht zum erstenmal die Heimatgeschichte des Films in Wuppertal aufzuzeigen.
»Entrez, mes dames et messieurs! Attention, Attention! Das Wundär des Jahrhundärs! Daran kann man niesch vorübergähn! Oui, madame, im beigen Cape, madame. Sie meine iesch! Kommen Sie … Nur niesch schüchtern sein! Ohhh … Ihr Gemahl wird mirr böse sein! Ich zeige Sie pikante Szenen. Oh - so pikant! Für zähn Pfennich nurr. Das Wunder des Jahrhundärs!«
Die heisere Stimme des jungen Schaustellers mit dem rotblonden Wuschelkopf dringt weit über den Carnaper Platz in Barmen. Viele Neugierige scharen sich um ihn und seinen »neumodischen« Wunderkasten. Auch »die Küppersche« vom benachbarten Sedansberg ist stehen geblieben. Denn sie ist die Madame im hellen Cape. »Sind Sie vorsichtig«, mahnt ein weißhaariger Fabrikant, der dicht zu ihr getreten ist und seinen Hut gelüftet hat. Selbst um »auf« die Kirmes zu gehen, hat er nicht versäumt, den Bibi »anzuziehen«.
Die Küppersche stemmt die Arme in die molligen Hüften. Aber der Mann meint es ehrlich. Denn in unverfälschtem Platt, der Sprache von Arm und Reich, fährt er fort: »De es nich van ussere Zorte. Dä kömmt van Gott weet wo här. Kieken se es – dä hätt de falschen Pannen op em Daak.«
Rothaarig zu sein, das nämlich ist auf dem Berg eine Schande. Die mit solch entartetem Nachwuchs geschlagenen Mütter kaufen auf der Kirmes verstohlen einen Haarfärbekamm. Das Wort »pikant« aber ist höchst anrüchig im sittenstrengen Barmen. Und es zieht doch. Das Rothaarige. Und vor allem natürlich das Zauberwort »pikant«.
»Pü, eck paß schon selver op meck op«, zuckt die Küppersche nur verächtlich ihre Schultern und schlängelt sich näher zum Rothaarigen und seinem Wunderkasten. Immer wieder schwingt sein »Attention« über den weiten Platz, über die bunten Buden und Zelte, übertönt das Gedudel der Drehorgeln und das Kreischen der hübschen jungen Mädchen, die auf dem Stühlchenkarussell eine Luftpartie wagen. Tatsächlich! Denn kokett blitzen die sittsam zugebundenen »Unaussprechlichen« unter den hochfliegenden Röcken hervor. Ein kühner Anblick fürwahr, denn das Kalenderblatt zeigt den Frühling von 1870 an. Verstohlen genießen die jungen und alten Gecken den ungewohnt pikanten Anblick. Wo der gestrenge Herr Pfarrer doch nicht den steilen Berg zum »sündigen Carnap« hochkraxelt, sind solche Freuden – fast – erlaubt.
Die Kirmesleute haben viel zu bieten. Aber den Vogel schießt der Rotschopf ab. Denn er bringt den »Clou der Saison«. Unaufhörlich klimpern die sonst so fest ins Sacktuch eingeknöpften Groschen auf den angeschlagenen Steingutteller des Schaustellers. Er bringt »bewegte Bilder«, die »neuesten Zaubertricks«, in einer kühn abgewandelten »Wundertrommel« wie sie Horner bereits 1833 konstruiert hatte, stecken gezeichnete Bilder in einem Hohlzylinder, der um seine senkrechte Achse gedreht wird. Beim Blick durch den Sehschlitz ist die Illusion vollkommen: Das Bild ist »lebendig«.
Ein ganzer Roman rollt ab: Verführerisch lächelt ein Dämchen, wiegend auf den Knieen des Galans. Da stürzt der Gemahl ins Gemach. Unhörbar kracht ein Schuß. Die Schöne sinkt im Negligé dem Ehemann zu Füßen. Und er vergibt. Der »Film« ist aus.
»Medames et messieurs! Nur nisch drängeln. Jedär kommt drahn. Das Wundär des Jahrhundärs. Pikant – für zähn Pfennich nur!« Die Küppersche hat sich die Nase am scharfen Sehschlitz gerieben. Nun aber zieht sie enttäuscht eine »Schnute«: »Wat woar dann do tu wundern«? Denn die »Taschen-Kinematographen« hatten schon den Spielzeugmarkt erobert. Sie kannte die kleinen Bücher aus gedruckten Bildern, die man mit dem Daumen abschnippen ließ. Plötzlich liefen dann die Männer und Frauen in den Büchern und vollführten kühne Sprünge. Bei der verwandten »Wundertrommel«, die der Rotschopf da so pries, hatte man bloß das Daumenschnippen gespart.
Aber etwas anderes war es schon. Das aber gestand die Küppersche erst am Abend ihrem Mann verschämt im Ehebett: »Et woar so herrlich onanständich, woll?« Und Herr Küpper zog brummend seine Nachtmütze über die Ohren: »Dovör gövst du den schönen Groschen ut«, und beschloß für sich – »morgen gehste ok dohen!«
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