Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
Das Wunder des Films wird entschleiert
Sensation im »Wintergarten«
1. Fortsetzung
Am Sonntag feiert der Film seinen Geburtstag. Er wurde 60 Jahre alt. Denn am 3. Juni 1896 verkaufte Meßter, der deutsche Forscher, Erfinder und Produzent, seinen ersten Projektionsapparat. Eine neue bedeutende Vergnügungsindustrie entstand. Ihr Einfluß auf die Menschen wuchs von Jahr zu Jahr. Das Kino ist heute aus dem Leben einer Stadt, selbst einer kleinen Gemeinde, nicht mehr wegzudenken. In ihrem Tatsachenbericht schilderte die NRZ am Wochenende die Vorgeschichte. Heute nun die entscheidenden Phasen der Entwicklung bis zur ersten Filmvorführung.
Herr Küpper hatte seinen letzten Gedanken vor dem Einschlafen nicht vergessen gehabt. Auch er hat nach Feierabend »mal eben einen Sprung« zum Carnaper Platz gemacht, die Augen weit aufgerissen und an den Sehschlitzen der neuen »Wundertrommel« die »pikanten« Bilder genossen. In den folgenden Jahren wurde an der Vervollkommnung des Apparates weitergearbeitet. Als »Mutoskop« stand es als Schauapparat in verschiedenen Bahnhofspassagen und bot weiter »pikante Szenen«. Was mit »bewegten Bildern« zusammenhing, verfolgte Herr Küpper vom Sedansberg in den folgenden Jahren mit gespanntem Interesse.
Vom Rummelplatz auf den Bahnhof – das war ein zweiter kleiner Schritt. Ein großer war vorangegangen, der Sprung vom Spielzeugladen in die Vergnügungsbetriebe der Erwachsenen. Das wunderscheibenartige Spielzeug war ganz unversehens hineingerutscht in den allerersten bedeutsamen Abschnitt der Vorgeschichte des Films. Und auf dem Carnaper Platz in Barmen hatten es die Neugierigen miterlebt.
Aber bevor die Bilder wirklich »lebendig« wurden, mußte die Momentfotografie erfunden werden. Experimente früherer Jahrzehnte hatten schon das Geheimnis der Kinematographie enthüllt: Es kommt auf weiter nichts an, als von einer Bewegung, die sich in einer Sekunde abspielt, 16 Bilder, Zeichnungen herzustellen und diese 16 Bilder in einer Sekunde dem Auge in irgendeiner Weise wieder sichtbar zu machen. Denn dann entsteht der Eindruck einer ununterbrochenen Bewegung, weil die so dicht aufeinanderfolgenden Bilder vom Auge nicht mehr getrennt, sondern eben nur noch als nahtlose Bewegung gesehen werden können.
Auch die Wuppertaler Zeitungen wiesen immer wieder Notizen von den verwirrenden Experimenten in England und Deutschland auf. Moltke, Menzel und Siemens sahen 1891 in Berlin die ersten Reihenaufnahmen des englischen Tierzüchters Muybridge. Aber die hohen Gäste, die hier zum ersten Male das Pferd in seinen phasenhaften Bewegungen sahen, konnten die Fotos nur in der Hand studieren. Vorführapparate entstanden noch im selben und im folgenden Jahr. Der erste Kinematografische Apparat war 1888 gebaut worden. Er enthielt bereits die wesentlichen Teile der modernen Filmkamera: Schlitzscheibe, Handkurbel und Filmband.
Der Deutsche Ottomar Anschütz verwandte die ersten »Schlitzverschlüsse mit elektrischer Auslösung«. In seinem »Elektrischen Schnellseher«gelang es ihm zum ersten Male, Reihenbilder vorzuführen. Von 1889 an wurden dafür Zelloloidstreifen verwandt. Edison stanzte Löcher in den Rand dieser Streifen und ermöglichte damit den Transport des Filmbandes durch eine Zahntrommel. Und dann war es endlich soweit:
Am 13. Dezember 1895 wurde der »Bioskop« in Paris vorgeführt. Ein Jahr später baute der deutsche Filmpionier Oskar Meßter nach Erfindung des »Malteserkreuzes« (zum ruckweisen Transport des Filmbandes) einen Projektionsapparat. Am 3. Juli 1896 trug er den ersten Verkauf eines solchen Apparates in sein Kontobuch ein. Die Geburtsstunde des deutschen Films hatte geschlagen!
Sieben Monate zuvor hatten die Gebrüder Skladanowsky im Berliner Wintergarten zum ersten Male ihren »Bioskop« gezeigt. Aber trotz der echten Sensation: Es war ein strapaziöses Vergnügen, einer Vorführung beizuwohnen. Dauern rissen die Bilder, der Apparat war primitiv und nach den ersten Versuchen wandten sich die Schausteller dem Vertrieb der Taschenkinematographen zu. Die Entwicklung überließen sie Meßter.
Er drehte im November 1896 den ersten Kinofilm zum gewerbsmäßigen Vertrieb. Die erste Szene war ein Bild der Berliner Stadtbahn, vom Atelierfenster des Oskar Meßter aufgenommen. Der erste war ein unbekannter Mime in der Maske Bismarcks! 1897 wurde Oskar Meßter »Erster deutscher Filmproduzent«, und Otto Reutter spielte für ein »gutes Frühstück« und ein »Anerkennungsgeschenk« die Hauptrolle in den ersten humoristischen »Minutenfilmen«. Zu der Zeit hatte bereits das erste Ladenkino »Unter den Linden« in Berlin, wo die Brüder Skladanowsky ihre Filmchen schnurren ließen, »pleite« gemacht. Auch im Wuppertal hatten Schausteller bereits in einem Gasthof »lebende Bilder« vorgeführt. Über die denkwürdige erste Filmvorführung berichtet die nächste Folge dieses Tatsachenberichtes.
Sie lesen morgen:
Die ersten »lebenden« Bilder in Heckinghausen
Besucher schrieen nach Licht!