Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
Polizeikommissar zensiert Filme
»Hat et noch nich gebrannt?«
6. Fortsetzung
»Zuckerfritze« und sein Freund Otto Kallenbach fegten Morgen für Morgen die Stufen des »Volkstheaters« blitzeblank. Sie waren die ersten »Freiplätzer« im Kintopp der geschäftsgewandten Frau Johanna Meyer. Ihr Ladenkino brachte mit dem vom Film besessenen Vorführer Heinrich Hoppe Tag für Tag volle Kassen. Richtig in Schwung gebracht blühte das Kinogeschäft schon um 1911. Zwei Jahre zuvor hatte auf der Klotzbahn »Brodmeyers-Kino« aufgemacht. Mitten im Tanzsaal wurden dort als besonderes Spektakulum Filme vorgeführt.
Frau Johanna Meyer aber konnte schon kurz nach der Eröffnung ihres »Volkstheaters« in der Bachstraße den Sprung zu einem etwas größeren und eleganteren Kintopp wagen. Es erhielt den poesievollen Namen »Lima-Lichtspielhaus« und gab sich bereits sehr viel anspruchsvoller als das schlichte »Volkstheater«. Es wurde just an der Stelle errichtet, wo heute das »Capitol« steht. Drei Jahre lang, genau bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges, blieb das »Luna-Lichtspielhaus« in der Regie der Johanna Meyer. Was sich dort alles abspielte, das ist eines der schönsten Kapitel der an Histörchen reichen Filmgeschichte im Tal.
Als erster Film lief im »Volkstheater« ein Streifen mit dem alles versprechenden Titel: »Leidenschaft« . Polizeikommissar Will las den Titel und runzelte die Stirn. Er nahm breitbeinig auf einem Kinostuhl Platz und zwirbelte den Schnäuzer. Die »Leidenschaft« schnurrte ab. Es wurde wieder hell und mit Herzklopfen wartete Frau Meyer ab, bis sich Kommissar Will vor ihrer Nase aufbaute.
»Also, meine gute Frau«, so hob er an, »was zuviel ist, ist zuviel. Leidenschaft. Meinetwegen. Aber ein paar Stellen, die müssen raus. Sonst ist es aus mit der Vorführung. Ich passe auf.«
Und so mußte Vorführer Hoppe eine große Schere nehmen und all jene Stellen aus dem Film schneiden, um derentwillen er gedreht worden war. Was blieb, war ein »Kurzfilm«, selbst für damalige Begriffe. Über die Leinwand huschte eine Frau im Bettjäckchen. Sie war noch eben der Schere entschlüpft. Wie aber die Leidenschaft jener Frau wenige Meter weiter tobte, das bekamen leider die Zuschauer nicht mehr zu sehen. Die »Leidenschaft« war glatt in den polizeilichen Papierkorb gewandert. Und nur Herr Hoppe, Frau Meyer und der Kommissar Will hatten sie »toben« sehen!
»Feuerpolizeiliche Vorschriften für Filmtheater« waren damals noch fast unbekannt. Kommissar Will sorgte schon für Ordnung. Es verging kein Tag, an dem er nicht pflichtschuldigst seine Nase ins Kino steckte und mißtrauisch schnüffelte. Jedesmal kam dann die Frage: »Hat et auch nich’ gebrannt?« Denn so ein kleiner Kinobrand war in der ersten Zeit des Kintopps an der Tagesordnung. Er gehörte einfach zu den Überraschungen, die jedes Kino-Wochenprogramm so mit sich brachte.
Damals waren nicht nur die Besucher überrascht, wenn sie ins Kino kamen, von einigen Plakaten angelockt und dann die Wirklichkeit kennenlernten. Frau Meyer und ihren Kollegen vom Kinofach erging es nicht anders. Sie kauften in Düsseldorf die Filme – nach den Werbeplakaten. Interessentenvorführungen vor dem Abschluß waren damals völlig unbekannt. Und so überschlugen sich dann die Plakate in »Lust« und »Wollust«, »Herzeleid« und »Wonnemond«. Was anschließend über die Leinwand huschte, erinnerte oft nur entfernt an die Versprechungen der Plakate.
Mit der »Moral« und »Sittlichkeit« wurde es im alten Elberfeld verteufelt ernst genommen. Polizeikommissar Will hielt selbst einen Stierkampf für zu »verderblich«. Als dann nach seinen Zensurbestimmungen der groß angekündigte Film »Stierkampf« im Abendprogramm lief, war auf der Leinwand alles Mögliche zu sehen. Nur kein einziger Stier! So hatte die Schere der »Moral« zum Siege verholfen.
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