Harald Dülfer

Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal

Die »Ohrfeigen-Geschichte« in Wuppertal
Das große Kino-Sterben

17. Fortsetzung


Mit wahrhaft »eiserner Faust« griff die NSDAP nach ihrer »Machtergreifung« in die Filmentwicklung ein. Goebbels wurde »Schirmherr des Films«. Es entstanden die Ufa-Filme »SA-Mann Brand« und »Hitlerjunge Quex«. Das Schluchzen im Parkett ließ Goebbels frohlocken. Hugenberg war der rechte Mann für ihn. Er stellte die Ufa mit der Schwerindustrie im Rücken in den Dienst der »nationalen Propaganda«, der »Wehrertüchtigung« und schließlich der Kriegspropaganda. (Fritz Pritzkoleit beschrieb den Weg der Ufa in seiner großen NRZ-Serie vor einigen Monaten.) Neben wirklich künstlerisch überragenden Filmen wurden die tönenden Streifen immer mehr auf die Vorbereitung für die »Stunde der Entscheidung« ausgerichtet.

Trotz seiner Propagandaideen hatte Goebbels jedoch noch genügend Zeit für sein Pläsir. Die »Ohrfeigen-Geschichte« ging als bester wahrer politischer Witz in die damalige Zeitgeschichte ein. [If the legend becomes fact, print the legend. J. Ford] Am 8. Januar 1939 stellte sich Gustav Fröhlich mit seinem Film »In geheimer Mission« den Besuchern des »Odin« vor. »Gustav, was war mit Goebbels?« So scholl es ihm aus dem Parkett entgegen, als er seine Verbeugung machte. Fröhlich lächelte süffisant: »Ach, reden wir doch mal von was anderem.« Und die Frauen, die ihn allesamt anhimmelten – von sieben bis siebzig Jahren – liefen ihm in Scharen bis hinter der Bühne nach und erbaten sich Autogramme. Den Ordnern des Kinos wurden die Knöpfe vom Jackett gerissen und die Aufschläge von den Hosen getreten, so groß war der Ansturm. Der 8. Januar 1939 in Wuppertal war für Fröhlich ein großer Erfolg. Zum zweitenmal an diesem Tag lächelte er spöttisch, als ihm eine Gruppe Hitlerjungen (von wegen der Ohrfeige) beim Besteigen seines Wagens Stinkbomben vor die Füße warf. Als er anschließend in Elberfeld im »Capitol« auf der Bühne sein Sprüchlein hersagte, herrschte nur noch begeisterte Zustimmung.

»Die Stunde der Entscheidung« schlug früher als gedacht. Mit Beginn des Krieges zog die Wochenschau wie ein Magnet die ganze Bevölkerung ins Kino. Die Frontberichte schwollen auf 1200 Meter Länge an. Film-Sondervorstellungen in 15 Wuppertaler Lichtspielhäusern (28. September 1941) mußten die Wehrfreudigkeit wach halten. Massenkundgebungen »Wo Hitler führt, ist der Sieg« gesellten sich zur optischen Behandlungsmethode. Als Lichtblick wurde genau zwei Tage nach dem Angriff britischer Luftwaffe auf Wuppertaler Stadtgebiet der erste deutsche Farbfilm »Frauen sind doch bessere Diplomaten«, am 17. April 1942, im Modernen Theater Elberfeld und Ufa Barmen aufgeführt. Wiederum zwei Tage später fand bereits die erste Trauerfeier für die Bombenopfer statt.


Eisiges Schweigen

Am 17. November 1942 sprach Goebbels zum zweiten Male seit 1932 in der Elberfelder Stadthalle unter dem Motto: »Der Endsieg ist für uns nur eine Frage der Zeit«. Am 18. Juni 1943 bereits mußte er unter eisigem Schweigen die Trauerfeier für die Toten des Luftangriffs auf Barmen und Ronsdorf in der Elberfelder Stadthalle abhalten.

Das große Kino-Sterben hatte eingesetzt. Bis zu den Bombenangriffen hatten alle Theater trotz dauernder Fliegeralarm-Unterbrechungen weiter gespielt. Eines vor allem führte die Bevölkerung Woche um Woche ins Kino: die Frontberichte. Oft schrie eine Mutter oder eine junge Frau mitten in der Vorführung gellend auf: sie hatte ihren Sohn, ihren Mann unter den verdreckten »Frontschweinen« entdeckt. Am Abend, wenn der letzte Besucher das Theater verlassen hatte, ließ mancher Kinobesitzer nur für jene Frau und Mutter die Szene der Wochenschau noch einmal in Zeitlupe aufblenden.

Von den Zerstörungen verschont wurden in Barmen und Elberfeld nur der »Odin-Palast«. Aber bereits im Januar 1944 konnte in Elberfeld nur »Atrium« eröffnet werden.

Im Bombenurlaub hatte Eugen Schultheiß, dessen »Apollo«, »Odeon« und »Lichtburg« völlig zerstört wurden, im »Evangelischen Vereinshaus Elberfeld« eine Ausweichmöglichkeit für sein »Apollo« geschaffen. Es konnte von seiner Frau bereits im Juli 1944 eröffnet werden. Einen Tag vor dem Einmarsch der Alliierten lief dort noch die »Maske in Blau«. Als erstes Kino spielte dieses »Apollo« auch nach der Besetzung weiter.


Brandstiftung ungeklärt

Sofort nach Kriegsende wurde der Kino-Wiederaufbau vorangetrieben. Die Eröffnungen folgten Schlag auf Schlag, nachdem die ersten Schwierigkeiten überwunden waren. Aus Kinobesitzern wurden »Handlanger«, »Maurer« und »Materialbeschaffer«. Kurt Pretschner, ein neuer Mann in der Wuppertaler Kinogeschichte, eröffnete am 18. November 1948 in Barmen das »Fita« mit einem glanzvollen Fest. Im Dezember 1948 startete Paul Dangel im Hause der ehemaligen Gesellschaft »Kunst und Gewerbe« den »Stern«. Von Mai 1945 an hatte er gekämpft, das »Moderne Theater« an alter Stelle zu eröffnen. Aber die Genehmigung blieb aus, er sollte die »neuen Baupläne« abwarten!

Erst im Dezember 1950 konnte er das alte Theater unter dem Traditionsnamen wiedereröffnen. Am 29. Juli 1949 wurde die festliche Wiedereröffnung des völlig umgestalteten »Atriums« unter Ufa-Direktor Scharloh gefeiert und das »Thalia« am 29. September 1950 eingeweiht.

Bis zum heutigen Tage ungeklärt ist der Großbrand in diesem Theater, der am 28./29. Januar 1951 ausbrach, als das Kino verlassen dalag. Es wird Brandstiftung angenommen. Das »Moderne« Theater am Wall, als drittes »Ufa-Haus«, wurde am 20. Dezember 1949 mit dem Film »Der blaue Strohhut« eröffnet.


Die Sünderin lockte

Kennzeichnend für Wuppertal ist der größte Filmskandal der Nachkriegszeit: »Die Sünderin« mit Hildegard Knef. Der Film lief im Februar 1951 zwei Wochen lang im »Modernen Theater«, Wall und Oberbarmen, und anschließend mit gleichem Erfolg auch noch in der »Filmbühne Sonnborn« und im »Modernen Theater Vohwinkel«. Gerade der Skandal, die Proteste, lockten – ausgerechnet im sittenstrengen Wuppertal – die Besucher in Scharen ins Kino. Fortan fiel es keiner Institution mehr ein, für einen Film durch Proteste die billigste und beste Werbetrommel zu rühren. Wie zu keiner anderen Stadt paßt das Widerspruchsvolle zu Wuppertal.

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