Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
Blick hinter die Kulissen
So werden Filme abgeschlossen
19. Fortsetzung
Die dritte Revolution, der plastische CinemaScope-Film, war das letzte große Ereignis in der 60jährigen Geschichte des Films. Immer fanden diese Umwälzungen sehr frühzeitig in Wuppertal ihren Niederschlag. In der Ausbreitung der neuen Lichtspiele wurde Pionierarbeit geleistet. Das begann 1899, als Leo Hänsler »Im Salamander« den ersten 300 Meter langen Monumentalfilm »Die Reise zum Mond« vorführte und den Kurzfilm jahrelang als »Rausschmeißer« am Ende eines Variete-Programms spielte. Schon 1905 ließ Heinrich Hoppe in der Calvinstraße seine Filmchen durch einen Schmalfilm-Projektor schnurren. Johanna Meyer hatte den Mut, bereits 1911 einen festen Kinobau zu errichten, das »Volkstheater« in der Bachstraße. Noch bevor die Tonfilmblüte beginnen konnte, wurde 1924, wenige Tage nach der Berliner Uraufführung »Die Zaubergeige« im »Scala-Theater« (dem heutigen »Capitol«) vorgeführt. 1929 gelang dann der Durchbruch mit dem Ufa-Film »Die Melodie des Herzens«. Am 17. April 1942 brachten das »Moderne Theater« in Elberfeld und der Barmer »Ufa-Palast« den ersten deutschen Farbfilm »Frauen sind doch bessere Diplomaten«. CinemaScope setzte sich 1954 bereits vier Monate nach der Welt-Uraufführung im »Capitol« durch. Über mangelnden Mut der Kinobesitzer brauchten sich Wuppertals Filmfreunde nie zu beklagen.
Trotz der verheerenden Zerstörungen ist das Kinowesen in Wuppertal zu einer Blüte gelangt, die frappierend ist. Die Besucherzahlen jedoch hielten mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Die Statistik von 1955 weist nicht weniger als 27 Lichtspieltheater mit 18 778 Plätzen aus. Auf 1000 Einwohner entfallen also 46,3 Kinosessel. 5 609 795 Besucher wurden 1955 insgesamt gezählt. Das entspricht einer Gesamtausnutzung der vorhandenen Plätze von nicht mehr als 26 vH. Tatsächlich muß man schon von einem Platzüberangebot sprechen.
1951, als 2000 Plätze weniger zur Verfügung standen, betrug ihre Ausnutzung wenigstens noch 35 vH. Die Statistiker haben in ihrer Errechnung der »Kinomüdigkeit« Wuppertal an vorletzter Stelle im Bundesgebiet einrangieren müssen. Der Wuppertaler geht durchschnittlich nur dreizehnmal im Jahr ins Lichtspieltheater.
Die Baufreudigkeit wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Kurt Pretschner, der nach dem Kriege erst nach Wuppertal kam, besitzt heute bereits neun Theater und hält damit den Rekord. In der Neumarktstraße, gegenüber dem »Kaufhof«, stehen zwei weitere Kinos vor ihrer Vollendung. Damit wäre dann der erste »Vier-Theater-Palast« verwirklicht, nachdem in Barmen, am Alten Markt, die Erfahrungen an einem »Zwei-Theater-Haus« gesammelt wurden. Diese Entwicklung allein betrachtet ist bei der allgemein unbefriedigenden Platzausnutzung ein Phänomen. Sie wird nur zu einem Teil dadurch erklärt, daß bei der heutigen Verleihpraxis und den verschärften Konkurrenzbedingungen jeder Kinobesitzer möglichst viele Plätze ausweisen muß, um eine große Filmausnutzung in einer Stadt (mit Nachspiel-Theatern) garantieren zu können.
Das Niveau aller Kinos wird entscheidend bestimmt durch die unerträglich hohe Vergnügungsteuer. 1955 wurden von den Kinos
1 450 997 D-Mark an die Stadt abgeführt. Und das bei Einnahmen von nur 5,6 Millionen Besuchern. Auf breiter Front sind die Kinobesitzer inzwischen zum Angriff auf die V-Steuer vorgegangen. Sie haben die Alternative gestellt: Entweder Steuersenkung von 20 auf 15 vH oder Erhöhung der Eintrittspreise um 20 vH je Karte. Vor allem geht es darum, eine Steuerfreiheit für kulturell wertvolle Filme zu erreichen, weil nur so ein Verdienstausfall überbrückt werden kann. Denn eines steht fest: Eine »Schnulze« bringt volle Kassen, ein wertvoller Film jedoch ist ein Risiko, das sich nicht mehr jeder Kinobesitzer erlauben kann.
Nach dem Geschmack »seines« Stammpublikums muß der Kinobesitzer die Speisekarte des ganzen Jahres aufstellen. Es gab eine Zeit, da war das sehr leicht: in gesonderten Vorführungen ließ er sich jeden Film vor Abschluß vorspielen. Heute jedoch muß er in sehr vielen Fällen nach einem Venleihangebot kalkulieren, das etwa so aussieht:
»Zwei Matrosen und eine Nonne«, endgültiger Titel steht noch noch nicht fest. Der Film schildert dramatisch die Konflikte dreier Menschen nach einem Schiffbruch auf einer einsamen Insel. Hinter den Spalten Regie und Schauspieler stehen große Fragezeichen. So »blind« müssen heute viele Filme gebucht werden, oft dazu noch gleich »en block«, das heißt, um einen Spitzenfilm zu erhalten, müssen mehrere schwache Streifen mit abgeschlossen werden. Wenn Freitag mittag solch ein blind gebuchter Film anläuft, sitzt derKinobesitzer in einer Seitenloge und ist genauso erstaunt über das, was ihm vorgeflimmert wird, wie seine Besucher. Bei Abschluß sind heute viele Filme noch gar nicht zu Ende gedreht, weil ihre Finanzierung erst durch den Abschluß mit vielen Theatern gesichert wird.
Das ist die heutige Situation des Films vom Kinobesitzer aus betrachtet. Sie muß der Besucher kennen, wenn er seine Macht benutzen will: Lieschen Müller und Fritzchen Schulze bestimmen die Wuppertaler Film-Speisekarte: Kaiserschmarren, Himbeerlimonade, Prärieauster oder Problem-Cocktail. »Was Ihr wollt«.