Harald Dülfer

Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal

Filme für Ronsdorf
Ein alter Lehrer ist sprachlos

12. Fortsetzung


In den zwanziger Jahren schwollen die Kino-Programme auf drei und vier Stunden Länge an. Mehrere Stummfilme, eine Wochenschau und mehrere Kurzstreifen wurden vorgeführt. Und eine Kapelle mußte auch noch spielen, wenn das Publikum zufrieden sein sollte. Die ersten Kinoorgeln kamen »in Mode«. Aber die breite Masse war trotzdem noch nicht zu ständigen Kinogängern geworden. Hans Gille, heute Inhaber des Capitols in Elberfeld, spürte es, als er 1924 seinen Jugendtraum verwirklichte und in Ronsdorf die »Ratskeller-Lichtspiele« auf dem Marktplatz, gegenüber dem [bricht hier ab]

Hans Gille traf auf dem Marktplatz in Ronsdorf seinen alten Lehrer. Er war gerade erst stolzer Kinobesitzer geworden. Der alte Lehrer aber sah in ihm immer noch den lausbübischen Schüler. Der junge Mann kramte in den Taschen seines Jacketts und überreichte ihm eine Freikarte. Und der alte Lehrer sah zum erstenmal in seinem Leben einen richtigen Film. Es war ein amerikanischer Wildweststreifen, die gleiche Machart wie die heute technisch so vollkommenen »Westernfilme«, die bestimmt noch ein paar Generationen lang ihr Publikum finden. Nach der Vorstellung ging Hans mit klopfendem Herzen zu seinem Lehrer. Bevor er die selbstverständliche Frage noch gestellt hatte, hub jener an:

»Aber das jedes Mal … «

»Also, das ist unwahrscheinlich! Daß die Indianer ein hübsches weißes Mädchen rauben, das ist nach den Gesetzen der Logik wohl durchaus möglich. Daß es am Flußufer ein verstecktes Boot und den Bräutigam findet ist wohl ein großer Zufall – aber warum nicht. Das Leben steckt voller Zufälle. Daß ein Baum gerade dort seine Äste weit über den Fluß spannt, wo das Mädchen mit dem gestohlenen Kanu vorüberschießt und das hübsche Kind gerade so viel Zeit findet, sich an den Ästen anzuklammern, bis das Boot über den mörderischen Wasserfall in die Tiefe schießt und zerschellt, das grenzt ans Unwahrscheinliche. Aber möglich könnte es sein. Auch daß der Bräutigam ihre Hand gerade in dem Augenblick ergreift, als sich das Mädchen nicht mehr festzuhalten vermag. All das ist ganz unwahrscheinlich, aber vielleicht doch einmal möglich. Aber – « und hier zum ersten Male machte der alte Lehrer eine lange Pause, um Luft zu schöpfen, »aber daß jedesmal einer mit einer Filmkamera rein zufällig genau danebensteht und das alles filmt, nein, das gibt es nicht, das ist einfach zu unwahrscheinlich, das sind der Zufälle gar zu viele.«


Und Kosaken sangen

Das Wesen des Films ging dem guten alten Lehrer viel später erst auf. Als er ein Dutzend solcher Filme gesehen hatte. An die »unwahrscheinlichsten« Zufälle hatte er sich da bereits gewöhnt.

Hans Gille begnügte sich nicht mit einem kleinen »Vorort-Kino«. Er baute solange um, bis er sich ein schmuckes kleines Theater mit einer respektablen Bühne geschaffen hatte. An Einfällen mangelte es ihm nicht: Um einem russischen Film »Farbe« zu geben, ließ er einen kompletten Ural-Kosakenchor auf der Bühne aufmarschieren. Die Steppensöhne waren das Tagesgespräch der Stadt!


»Vorführer: Beginne!«

Auch »Papa Scholz« gehört zu den frühen Pionieren des Wuppertaler Kinos. Sein »Modernes Theater« war das erste in Vohwinkel und hat bis heute sein getreues Stammpublikum. Manche Familie geht hier schon in der dritten Generation »mal eben zum Scholz«. Mit dem »Bibi« stand er in der Stummfilm-Blüte vor jedem Programmbeginn auf seinen Bühnenbrettern und schwenkte weit durch die Luft den Hut: »Der Vorführer – er beginne!« Erst dann hob es an, das neue Programm. Und wenn es gefallen hatte, dann war »Papa Scholz«, wie ihn seine jüngsten Gäste heute ganz familiär nennen, froh, den Dank am Ausgang selbst entgegenzunehmen.

In jenen Tagen hatten die Theaterbesitzer alle ihre kleinen Tricks. Mancher wurde weidlich ausgenützt. Meist so, daß das Publikum nicht tobte, sondern vor Vergnügen kreischte. Stauten sich vor dem Kino nämlich die »Schlangen« und wurden die Wartenden ungeduldig, so erhielt der Vorführer einen Wink und dann ging's richtig los mit dem Spektakel: Die Ölkanne zum Schmieren des Vorführapparates »Ernemann I« in der Hand, drehte er dann alle Filme durch die glühende Trommel, daß glatt eine halbe Vorstellung eingespart wurde und zur Not nach der Spätvorstellung sogar noch Zeit für ein »Extra-Nachtprogramm« verblieb.


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