Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
Leinwand zerfetzt
Paprika statt Sacharin
Kinos »salonfähig«
11. Fortsetzung
In den zwanziger Jahren wuchs die Zahl der Kinos in Barmen, Elberfeld, Wichlinghausen und Vohwinkel. Aber so groß die Anstrengungen der Filmtheaterbesitzer waren, obwohl »Der Student von Prag« mit Paul Wegener den Durchbruch zum künstlerischen Film gebracht hatte – mit den »Sitten- und Aufklärungsfilmen« rutschten die Programme auf das tiefste Niveau der Filmgeschichto, so gekonnt die technischen Effekte auch waren. Tatsächlich war es erst die »UFA« (Universum-Film-Aktiengesellschaft), die mit der »Pest in Florenz« ganz allmählich die Flut der »Sittenfilme« stoppte und zum guten Unterhaltungsfilm führte. Aber bevor es dazu kam, hatte der Film alles gegen sich: Polizei, Feuerwehr, Klerus, und – die Presse.
Die Filme der frühen Nachkriegszeit gaben allen Kritikern recht: »Hyänen der Lust«, »Prostitution«, »Anders als die Andern«, »Moral und Sinnlichkeit«, »Die Gefallenen«, »Die sich verkaufen«, »Die Verführten«, »Die Halbwelt«, »Sündiges Blut«, »Freie Liebe«, so schrie es von den Plakatsäulen herunter. Und nachdem das Volk pfundweise das »feldgraue Sacharin« hatte schlucken müssen, würzte es jetzt das schal gewordene, unsichere Leben gleich kiloweise mit dem schärfsten Pfeffer, den der Markt nur hergab. Und der Flimmermarkt wagte damals alles. Denn: Die Novemberrevolution hatte die Zensur hinweggespült.
Beim »Gelübde der Keuschheit« stürmten 1919 in Düsseldorf die empörten Besucher die Kinobühne und zerfetzten die Leinwand. In Wuppertal hatten die Kinobesitzer früh genug das Pendel vom gefährlichen Pfeffertopf zur Paprikaschale zurückschnellen lassen. Beim Düsseldorfer Kinosturm nannten die friedfertigeren Wuppertaler ihr Stammkino bereits herzhaft-trocken: »Knutschpalast«.
Je größer und besser die Filme in der Folge wurden, desto mehr Wert wurde auf ihre Wiedergabe gelegt. Die Erklärer mußten ihren Platz räumen. So erheiternd ihre Glanzzeit gewesen war, das Publikum wollte einfach nicht mehr spüren, daß nur ein einzelner dem stummen Film einige derbe Töne verlieh.
Die Ausdehnung der Bemberg-Kunstseiden-Herstellung zwang Paul Dangel in Oberbarmen, seine »Monopol-Lichtspiele« im Bemberg-Haus zu schließen. Es genügte beim Stand der Entwicklung auch nicht mehr, irgendwo »Unterschlupf« gefunden zu haben. So entstand 1919 auf dem Grundstück Berliner Straße 174 ein Kino, das seinem Namen voll entsprach, ein »Modernes Theater Oberbarmen«. Es ist heute, nach dem Wiederaufbau, noch im Besitz des Begründers.
Als dieses Kino eröffnet wurde, mußte sich Dangel an seinen Jugendplan erinnern. Sein Traum war es gewesen, Dirigent zu werden. Nun konnte er nicht nur zeigen, welchen Erfolg sein Musikstudium gehabt hatte, nun mußte er es sogar. Nachdem er zuerst mit dem Zeigestock in der Hand den Erklärer gemimt hatte, war nun sein Platz auf dem Klavierschemel. Er untermalte den Film mit entsprechenden Weisen. Als nun das nicht mehr genügte, wurde ein Acht-Mann-Orchester engagiert. Der Kapellmeister mußte ein geschickter, einfallsreicher Arrangeur sein, denn das Publikum wurde von Woche zu Woche anspruchsvoller. Es wollte einfach nicht mehr merken, daß der Film stumm war.
1929 war es sogar schon so weit, daß Paul Dangel eine große Philippsorgel einbauen mußte, um das Publikum zufriedenzustellen. Drei und vier Stunden mußten die Besucher auf ihren Plätzen ausharren, wenn sie das komplette Programm genießen wollten. Zwei Stummfilme, ein paar Kurzstreifen, die Wochenschau, Reklame, ein bis zwei Kulturfilme, Solostücke auf der Orgel und Musikeinlagen des Orchesters und schließlich sogar noch artistische Darbietungen auf der vergrößerten Bühne, so sah ein Abend im »Modernen Theater Oberbarmen« aus. Und die anderen Kinos in Barmen und Elberfeld folgten der gleichen neuen Linie. Damals schon zeigte sich die Entwicklung an, die heute noch mit Erfolg im »Thalia-Theater« in Elberfeld das Niveau und die Anziehung für das Bergische Land bestimmt.
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