Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
Vom UT zum Schluffen
Zur Aufklärung liefen »Die Nackten«
10. Fortsetzung
Kinobesitzer zu sein, hieß in der Pionierzeit: erfinderisch sein. Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Rheinland von den Franzosen besetzt. Die Grenze verlief durch Vohwinkel, mitten durchs Wuppertal. Das Tal bestand damals noch aus selbständigen Städten, die sich immer dichter auf den Leib rückten. Die Franzosen ließen keinen Film ins unbesetzte Gebiet. Also mußten die Theaterbesitzer das kostbare Zelloloid schmuggeln. Paul Dangel baute sich für seine »Monopol-Lichtspiele« in Oberbarmen sogar eine ganz private Stromleitung mit Hilfe eines alten Lastwagens und eines Dynamos. Vor Schwierigkeiten kapitulieren, das gab es für keinen Filmtheaterbesitzer im guten alten Wuppertal jener Jahre.
Bis 1918 stieg die Zahl der Kinos in Barmen und Elberfeld stark an. In den zwanziger Jahren kamen weitere hinzu. Auch in Elberfeld gab es die »Monopol-Lichtspiele«, und zwar im Hofkamp Nr. 50. Sie standen ebenso wie das »Union-Theater« in der Herzogstraße und das »Sieges-Theater« in der Schwanenstr. 26 unter der Leitung des erfahrenen Kinofachmanns Schlesinger. Das »Sieges-Theater« wies bereits 500 Sitzplätze und eine Unterteilung in Rang und Balkon auf (wie das UT). Es wurde von 1927 bis 1931 von Bernhard Stein als »Odeon« geführt, und ging 1934 in die Hände von Eugen Schultheiß über (heute Apollo/Lichtburg). Einige Elberfelder erinnern sich auch noch an das kleine Kintopp gegenüber dem »Hotel zur Post«, das den Namen »Post-Lichtspiele« führte.
Ein weiteres »Union-Theater« bestand in Barmen in der Clefer Straße 4-8, das später in den bekannten »Ufa-Palast«, dem »Renommier-Theater« Barmen umgewandelt wurde. Am Alten Markt 7-9 standen die »Schützenhaus-Lichtspiele«. Sie wetteiferten mit dem »Modernen Theater« des Paul Dangel in Oberbarmen.
Erich Scholz machte als erster in Vohwinkel sein »Modernes Theater« auf, das noch heute unter seiner umsichtigen Leitung steht. Auch Heckinghausen erhielt in jenen Jahren ein Kino. Es führte den wohlklingenden Namen »Gloria« Der Volksmund aber nannte es ganz einfach nur »Schluffen«. Die gemütlichem Heckinghauser nämlich schlurften am Premierenabend grundsätzlich in ihren alten »Schluffen« zum Theater an der Ecke Werlestraße hinüber.
Unvergessen geblieben ist auch die »Westfalia«. Die Gebrüder Wenner, von denen Eugen Wenner noch heute Mitinhaber des »Odin-Palastes« ist, eröffneten das Kino am 4. April 1914 am Gemarker Ufer. Es ging aus »Groß-Barmen«, dem bestrenommierten Variete-Theater dieser Stadt, hervor. Jahrelang war es das Pendant zum »Salamander« in Elberfeld gewesen. »Groß-Barmen« war verbunden mit den »Oberbayern-Betrieben«, in denen das »Hansa-Theater« eröffnet wurde. Noch als der Tonfilm sich bereits die Wuppertaler Kinos erobert hatte, wurden hier unverdrossen Stummfilme gespielt. Sehr zum Vergnügen der Filmfreunde, die sich erst langsam auf die tönenden Streifen umstellten. Otto Breuer baute am Alten Markt auch sein »Alhambra«. Der Wandel vom Saalkino zum Theaterbau wurde in dieser Zeit deutlich. Viele Elberfelder erinnern sich auch noch an die »Post-Lichtspiele«, dem intimen kleinen Theater, das dem »Hotel zur Post«gegenüberlag.
Im Juli 1918 kündigte die Direktion des »UT«, wie das »Union-Theater« im Volksmund nur genannt wurde, bereits die dritte Fortsetzung des berüchtigten Serienfilms »Es werde Licht« von Richard Oswald an. Kaum waren die Filmvorführer aus den Zelten des Rummelplatzes herausgekommen, vom Saalkino in einen Kinopalast übergewechselt, da rutschten die Filme, die sie vorzuführen bekamen, wieder zurück auf das Niveau der allerersten Flimmerstreifen. Und das, obwohl Adele Sandrock, Albert Bassermann, Paul Wegener, Max Pallenberg und Johanna Terwin(-Moissi), die kürzlich noch auf der Wuppertaler Schauspielbühne schönste Erfolge feiern konnte, als die erste Garnitur Bühnenschauspieler zum Film übergegangen waren. Obwohl auch Paul Wegener mit dem unsterblichen »Student von Prag« 1913 die Welt auf Deutschland als Filmproduktionsstätte aufmerksam gemacht hatte. Gerade war der Film endlich von der bloßen Attraktion zum Kunstwerk geworden, da schnellte die Entwicklung mit den Sitten- und Aufklärungsfilmen des Richard Oswald und seiner Nacheiferer zum Rummelplatzniveau zurück. [1]
"Henny - nimm den Geiger mit!"
Wie überall, so auch in Wuppertal: Nach dem »feldgrauen Kitsch« der superedelmütig-patriotischen Filme hatte sich das Publikum an den sentimentalen Henny-Porten-Filmen endgültig satt gesehen. Unter der Flagge der »Aufklärung« segelten fortan die tollsten Streifen: »Die Nackten« [vermutlich dieser Film] und die »Polygamie« [?]. Der Film hatte alles gegen sich: Polizei, Feuerwehr, Klerus, Lehrerschaft, Eltern, Theater und Presse. Der Künstler nannte den Film ein »Attentat auf Nerven und Seele«, der Pädagoge einen »Jugendverderber«, der Moralist den »Treffpunkt zweifelhafter Existenzen«.
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[1] Vermutlich hatte Harald Dülfer keine Gelegenheit, die erwähnten Filme zu sehen. Mir geht es genauso.
»Es werde Licht« jedenfalls erschien in vier Teilen:
1. Teil (1917),
2. Teil (1918),
3. Teil (1918),
4. Teil (1918).
Für die wissenschaftliche Beratung zeichneten immerhin Iwan Bloch (Teil 2 und 3) bzw. Magnus Hirschfeld (Teil 4) verantwortlich. Hirschfeld war auch an Oswalds »Anders als die Andern« beteiligt, der als erster Film gilt, der das Thema Homosexualität behandelt. Aber der hat den Muckertalern sicher auch nicht gefallen … ED