Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
»Luise, ween man nich«
Filme durch Vohwinkel geschmuggelt
9. Fortsetzung
Nach der großen »Elberfelder« Zeit ging es um 1916 auch in Barmen mit der Filmtheaterentwicklung rüstig voran. Im Bemberg-Haus in der Berliner Straße 100 entwickelten sich aus einer primitiven »Flimmerkiste« die modernen, schmucken »Monopol-Lichtspiele«. Sie standen unter der Leitung des Remscheider Werkmeisterssohns Paul Dangel. Dia Stummfilme lockten viele in dieses nette kleine Theater. Aber eine »Sensation« bedeuteten sie nicht mehr. Das Publikum verlangte nach neuem. So wurde der stumme Film gewaltsam zum »Sprechen« gebracht. Das war die Aufgabe der »Erklärer«.
Das intime Parterre-Theater faßte 400 Plätze. Und schon war der wichtigste Mann des Stummfilms der »Rezitator« oder »Erklärer« geworden. [Vgl. Gert Hofmann, Der Kinoerzähler. ED] Seine große Zeit hatte er bis 1907 erlebt, als es noch keine »Zwischentitel« gab. Um 1910 bestanden die Filme schon oft gut zur Hälfte aus solchen schriftlichen Erklärungen, die den spannendsten Film zum flimmernden »Lesebuch« werden ließen. Von einem Extrem zum anderen, verzichteten viele Produzenten später wieder nahezu ganz auf diese Zwischentitel, so daß der »Erklärer« noch einmal zu seiner gewichtigen Rolle kam. Einen jener herzerfrischenden »Erklärer« erlebte man auch noch im »Monopol« in Oberbarmen.
Klassisch ist die Anekdote, von der niemand mehr weiß, wo sie sich abspielte und wer sie zuerst brachte. Nachgeahmt wurde sie überall: Es läuft ein Film über Königin Luise. Sie erscheint auf der Leinwand nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Und der Erklärer beginnt: »Nach der Schlacht bei Jena, da weinte nun die Königin furchtbar. Und S. M., der König, umfaßte liebevoll J. M, die Königin, seine Gemahlin und tröstete sie und sagte: Na, laß man Luise, es kommt ja noch die Schlacht bei Leipzig, da werden wir’s dem Napoleon schon zeigen!«
Und kaum waren die Liebespaare züchtig wieder auseinandergerückt, verkündete der Chef des Hauses, mitten hinein in die verebbende Rührung seiner Gäste: »Billet D ist abgelaufen. Ich bitte die Herrschaften Platz zu machen für die nächsten Gäste.« Und die Gassenbuben draußen hängten keß der armen Filmkönigin den Marsch an: »Wisch ab, ja, Luise, wisch ab Dein Gesicht. Eine jede Kugel, die trifft ja nicht. Denn wenn es im Leben wirklich so wär, wo nähmen die Könige die Soldaten her.« Mit der Geschichte nahm man es halt nie so genau. Die Produzenten und Erklärer nicht und die Gassenbuben schon gar nicht.
Mit dem Ende des Weltkrieges, der Spartakistenzeit und der
Besetzung der Rheinlande durch die Franzosen, begann auch für die Filmtheater-Besitzer eine gefährlich-abenteuerliche Zeit. Denn die Grenze der Besatzungszone verlief in Vohwinkel und schuf zwischen den noch selbständigen Städten des Wuppertals einen »Eisernen Vorhang«, der nicht mit Gewalt, sondern nur mit List durchbrochen werden konnte.
Die Franzosen kontrollierten im Bahnhof Vohwinkel mit penetranter Genauigkeit alle Züge, die weiter ins unbesetzte Elberfeld und nach Barmen fuhren. Der »kleine Grenzverkehr« blühte. Aber wehe, wenn einer der Patrioten, die in großer Zahl hüben fanatisch gesucht und drüben als Volkshelden gefeiert, von den Franzosen erwischt wurden! Einige Spitzel machten den Franzosen dieses schmerzhafte »Erwischen« leicht.
Aber Paul Dangel wagte es trotzdem, denn seine Oberbarmer Stammkunden wollten neue spannende Filme sehen und wenigstens im Kino lachen können. In Düsseldorf-Gerresheim wurden die Zelloloidstreifen gekauft, auf der Fahrt nach Vohwinkel in ihre Akte zerlegt, wieder aufgerollt und hinter den Polstersitzen des Zuges versteckt, bis die Luft hinter Vohwinkel wieder deutsch und rein war. Denn die Franzosen ließen keinen Filmmeter ins unbesetzte Gebiet.
Aber daheim in Oberbarmen wartete ein neuer Schrecken: Kein Strom. Kinobesitzer zu sein, hieß schon immer »erfinderisch« sein. Kurz entschlossen mietet Paul Dangel einen alten Lastwagen, nahm das hintere Antriebsrad ab, band einen Dynamo als Umformer mit einem Riemen an das Autorad und stellte den Motor an. Vom Hof der Firma Bemberg aus führte die »private Stromleitung« direkt in den Vorführraum. Die Vorstellung war gesichert.
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