Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
Die ersten »lebenden Bilder«
Besucher schrieen nach Licht
2. Fortsetzung
Nichts ist in Wuppertal zur frühen Filmentwicklung dazugetan worden. Und dennoch: Die ersten Apparate mit »bewegten Bildern« standen inmitten des Kirmesrummels auf dem Carnaper Platz in Barmen. Bereits 1870. Die Entwicklung ging mit Riesenschritten voran. Das Ehepaar Küpper konnte sie an Hand weniger Zeitungsnotizen verfolgen, bis ihre große Stunde schlug: Erste Kinovorführung in Barmen! Die Küppers haben sie miterlebt. Aber in die Heimatgeschichte eingegangen ist der Bericht des »Gewährsmannes des Kölner Sonntagsblattes«.
Und das lasen die erstaunten Kölner am 19. Dezember 1892 im »Sonntagsblatt«:
»Von unserem Gewährsmann Kuno Udendorf aus dem Bergischen Land wird uns die überraschende Nachricht übermittelt, daß es dem Berliner Karl Hattenberg gelungen ist, die Öffentlichkeit mit einem neuen Vergnügungsgewerbe bekanntzumachen. Dabei handelt es sich nicht um Theateraufführungen aus dem Gebiet der Dramatik, oder der Musik, mit lebenden Darstellern, sondern, man höre und staune, um lebende Bilder, die mit Hilfe einer Maschine auf eine große Leinwand gebannt werden. Diese Vorführung von lebenden Bildern fand, wie unser Gewährsmann mitteilt, vor etwa einem Monat in Münster und in Dortmund statt, und zwar in Wirtssälen mit etwa 30 Plätzen.
Unserem Nachrichtenvermittler Udendorf war Gelegenheit gegeben, einer solchen Vorführung von lebenden Bildern beizuwohnen, die am 10. Dezember in der Stadt Barmen im Gebietsteil Heckinghausen stattfand. Es war ein kleiner Wirtshaussaal, in dem schätzungsweise 24 Stühle aufgestellt waren, die zur festgesetzten Zeit, nachmittags um 4 Uhr, auch alle besetzt waren. Ein weißhaariger Herr gab vor der Vorführung einige Erklärungen ab, was es mit den lebenden Bildern für eine Bewandtnis habe. Es sollten, wie dem Publikum bedeutet wurde, Bilder aus Frankreich, besonders aus Paris sein.
Nach den Erklärungen, mit denen keiner was anzufangen wußte, verlosch plötzlich das Licht und ein großes Brummen, das von der im Hintergrund des Raumes aufgebauten Maschine ausging, setzte ein. Ein junger Mann setzte sich an das seitlich der Leinwand aufgebaute Klavier und spielte schwermütige Weisen. Über die hell erleuchtete Leinwand ging ein Flimmern, und der erwähnte weiße Herr kündigte in pathetischen Worten an, daß es für das erschienene Publikum ein historischer Augenblick sei, zu erleben, daß es mit Hilfe der Photographie möglich wäre, Menschen des Alltags lebend auf ein Stück weiße Leinwand zu zeigen.
Und wirklich: Aus dem Flimmern, das zeitweilig so stark war, daß einige Damen und Herren nach Licht verlangten, schälte sich eine Straße mit richtigen Häusern, sah man, zwar kaum erkennbar, schnellaufende Menschen, Fabriken, Gewässer und vieles andere, welches, wie der Weißhaarige mit lauter Stimme immer wieder versicherte, sich im Original in Paris befindet. Es wurden Bilder von schöngeputzten Damen und Kindern gezeigt, ferner vorbeifahrende Pferdebahnen, sowie einige Ausschnitte des Pariser Bahnhofs Gare du Nord. Immerhin dauerte die Vorführung aller lebenden Bilder zusammen fast zwanzig Minuten. Einige der im Raum befindlichen Damen und Herren erklärten sich sogleich bereit, einer weiteren Vorführung, die auf 5 Uhr angesetzt war, beizuwohnen.«
Wie aus dem Zeitungsbericht weiter hervorgeht, handelt es sich nur um eine einmalige Darbietung in Barmen. Auf seiner Reise durch Westdeutschland besuchte der seiner Zeit weit vorauseilende Schausteller Hattenberg anschließend Düsseldorf, Aachen, Essen und Bielefeld.
Und dennoch liegen zwischen der Geburtsstunde der deutschen Kinoindustrie am 3. Juni 1896 und der ersten öffentlichen Vorführung richtiger Filme nur drei Jahre. Auch ohne Lokalpatriotismus: Das zeugt wahrhaft von Weitblick und Initiative. Sie wurde aufgebracht von einem 16jährigen Jungen. Er hieß: Leo Hänsler. Und er lebt heute noch mitten unter uns. Wohnt nur drei, vier Meter entfernt von der Stelle, an der er zum erstenmal mit klopfendem Herzen hinter einem Vorführapparat stand! Seine Heimat ist der »Salamander« im Kipdorf geblieben. Auch heute noch, wo eine Schuhfabrik die Namensänderung in »Rex« erzwang.
Man schrieb das Jahr 1899. Jean Hänsler, ein weitgereister, versierter Varietéfachmann leitete seit Jahren schon das Spezialitätenetablissement »Im Salamander«. Sein Ruf und der seines Hauses war weit über Elberfeld hinausgedrungen. Der Name Hänsler war bekannt in Deutschland, wie in Frankreich, Italien und England. Da kam eines Tages ein Brief aus Amerika. Leo, mit seinen 16 Jahren schon ein unentbehrlicher Gehilfe, wippt unruhig mit den Zehenspitzen und schaut mit immer größer werdenden Augen auf die eng geschriebenen Zeilen. Was Vater und Sohn da gemeinsam lesen, das ist einfach toll.
Die Firma Lubin aus Philadelphia schreibt: »Wir erlauben uns hiermit, Sie mit unserem kinematografischen Vorführungsapparat »Cineoskop« bekanntzumachen. Wir, hier in Amerika, haben damit die besten Erfahrungen gemacht. Seit längerer Zeit existieren hier regelrechte Vorführungstheater, die ausschließlich Filmprogramme bringen und gute Kassen verzeichnen können. Wir empfehlen auch Ihnen, Ihr Theater ganz auf Film umzustellen.« Hoffnungsvoll steht wie ein Fanfahrenstoß am Schluß dieses ungewöhnlichen Briefes: »Die Zukunft gehört dem Filmtheater!«
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