Harald Dülfer
Hoppla, jetzt komm ich!
Ein halbes Jahrhundert Kintopp in Wuppertal
Kino in der Kneipe
Das Volkstheater wird eröffnet
5. Fortsetzung
Von der Varieténummer zurück auf den Jahrmarkt. Das war der Weg des Films um 1903. Rund vier Jahre lang beherrschten das weite Feld, wie in der allerersten Pionierzeit, die Schausteller. Mit ihren Wanderkinos zogen sie unverdrossen durch die Lande. Mancher wurde dabei selbst zum Operateur, zum perfekten Techniker auf jeden Fall. Für Tage, oft für Wochen auch, schlugen sie ihre Zelte im Tal auf. Schon um 1904 aber begannen die schüchternen Versuche Filmbegeisterter, die ersten »Ladenkinos« zu eröffnen. Sie stehen am Anfang der heutigen Wuppertaler Kinopaläste, deren Wunder an technischer Präzision ein Laie kaum zu begreifen vermag.
Es begann mitten in einem Wirtshaussaal. Anno 1905. Heinrich Hoppe aus der Kampstraße, Sohn eines achtbaren und erfolgsgewohnten Schneidermeisters, hatte sich einen Schmalfilmprojektor zugelegt und Jagd auf kurze »spritzige« Filmchen gemacht. Ihre Laufdauer zählte nach Minuten. Bruder Walter, der in der Calvinstraße seine Wirtschaft betrieb, fand die Idee absolut nicht »spleenig«. Er dachte an seinen Bierumsatz und ließ Heinrich völlig freie Hand. Fortan baute Heinrich jeden Abend seine Kamera mitten zwischen den Tischen und Stühlen der Wirtschaft auf, schob ein paar »angesäuselte« Zecher energisch beiseite, rollte ein Stück Leinwand auf und ließ seine Filmchen herunterschnurren.
Jeden Abend war »die Bude gerammelt voll«, stellten die Elberfelder fest. Einen Groschen bloß kostete der Eintritt, und das Bier, das Walter Hoppe in den vom Film nur kurz unterbrochenen Umspulpausen ausschenkte, schmeckte doppelt so gut, selbst wenn die stattliche »Blume« in der Aufregung des Schauens in Nichts zerfallen war. Die fröhlichen Zecher kamen Abend für Abend. Und wurden nicht müde, das Flimmern zu ertragen. Und keiner war da, der murrte, weil die Filme samt und sonders ganz schauerlich »verregnet« waren.
Dort, wo heute das Lokal »In der Mühle« immer noch Anfang und Ende so mancher beschwingten »Kneiptour« ist, saßen die ersten Filmbesucher und qualmten um die Wette. Meist war wirklich nicht zu sagen, woher das Flimmern kam: vom Tabakqualm, dem Essensdunst, dem schnarrenden Projektor oder den Filmchen, die damals schon der »Mottenkiste« entstammten. Aber, was machte das schon! Es war ein herrlicher Jux. Ein fröhliches Zechen und Schmausen und Flimmern und Gaffen! Und Walter Hoppe wurde ein bekannter Mann im alten Elberfeld.
Als »Vorführer« war er mit Gold nicht aufzuwiegen. So wenigstens dachten Johanna und Hugo Meyer. Und allmählich reifte im Kopf der Frau ein ganz bestimmter Plan. Er brauchte seine Zeit, aber als es soweit war, da zeigte sich die geschickte Hand dieser Frau.
Johanna Meyer beschloß, ihren Möbelhandel an den Nagel zu hängen und ganz groß ins Filmgeschäft einzusteigen. Das Neue zog sie an und es hat sich gelohnt: Walter Hoppe wurde ihr erster Filmvorführer, als sie Mitte 1911 in der Elberfelder Bachstraße ihr »Volkstheater« eröffnete. (Heute lockt an gleicher Stelle der »Trichter« zur fröhlichen Einkehr.) Die Schaulustigen stauten sich bereits am Eröffnungstag vor dem schmucken »Volkstheater«. Und die »Mundpropaganda« sorgte für prall gefüllte Kassen.
Die ersten Anschaffungskosten waren schnell hereingespielt. So ein Ladenkino mit etwas über 200 Sitzplätzen war auch ohne allzu erhebliche Kosten einzurichten. Einen Extraband Verordnungen und Bestimmungen zur Vorführung gab es nicht. Es wurde frisch und fröhlich drauflos geflimmert und die alten Elberfelder hatten ihre helle Freude daran.
Otto Kallenbach und »Zuckerfritze«, die beiden urwüchsigen Originale, stellten sich jeden Morgen, wenn die Bäckerjungen die frischen Brötchen austrugen, vor dem »Volkstheater« ein und begannen – ohne erst groß gefragt zu haben – die Straße zu fegen. »Hier mot et doch öndlich utsähn«, parierten sie die erste erstaunte Frage der jungen Kinobesitzerin Johanna Meyer und ließen sich beim Fegen nicht mehr weiter stören.
Mancher fette Brocken fiel in den kommenden Monaten und Jahren für die beiden Originale ab. Und daß sie Freiplätze im Kintopp hatten, na, das verstand sich so ganz am Rande. Das war nur eines der vielen kleinen Sonderrechte, die so schrullige Käuze für sich in Anspruch nehmen durften.
Ein Jahr, nachdem Heinrich Hoppe mit seinen »Filmvorführungen für einen Groschen« begonnen hatte, wurde am Island-Ufer mit dem Bau des »Thalia-Theaters« begonnen. Nach der Eröffnung 1907 stand das repräsentative Theater im strahlenden Mittelpunkt des gesellschaftlich-fröhlichen Lebens. Es wurde 1928 ganz auf den Film umgestellt. Aber bis es soweit war, ereigneten sich um den Film im Tal noch ergötzliche Komödien.
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